Das Vermächtnis der Wanderhure
einer Spur ihrer verschwundenen Herrin zu schnüffeln, zumal das Wetter immer schlechter wurde und es kaum noch einen Schiffer gab, der den Strom befuhr.
Am Abend trat Gereon auf Anni zu und legte ihr seine Pranke auf die Schulter. »Wir können nicht länger bleiben, denn wir müssen Ritter Michel berichten, was sich zugetragen hat. Die Herrin ist fort, auf welche Weise auch immer. Wenn sie tot ist, möge Gott sich ihrer Seele gnädig erweisen. Hier kannst du nichts mehr für sie tun.«
»Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, morgen weiterzureisen«, eilte Dieter seinem Kameraden zu Hilfe. »Der Herr wird bereits in größter Sorge sein, denn er hat die Heimkehr der Herrin viel früher erwartet.«
Anni begriff, dass es ihr nicht gelingen würde, die beiden Männer umzustimmen, zumal sie sich deren Argumenten nicht entziehen konnte. Als Reichsritter konnte Michel Adler gewiss mehr erreichen als sie. Dennoch erschien es ihr als Verrat an Marie, jetzt aufzugeben.
Sie senkte den Kopf, um ihre Tränen zu verbergen. »Es wird wohl sein müssen! Aber ich bin mir sicher, dass Frau Marie noch am Leben ist. Ich würde sie finden, wenn sich auch nur die kleinste Spur zeigen würde.«
Die Reisigen sahen sich kopfschüttelnd an. Anni hatte schon auf Kibitzstein als verschroben gegolten, und manche hielten sie sogar für verrückt, weil sie oft seltsam reagierte. Nun hatte sie sich länger in die Suche nach der Herrin verbissen, als es jedem normalen Menschen eingefallen wäre. Gereon und Dieter hatten längst eingesehen, dass es sinnlos war, weiterzuforschen, denn sie glaubten zu wissen, was geschehen war. Frau Marie war am frühen Morgen zum Hafen gegangen, um noch einmal mit dem Schiffer zu reden, war dabei auf dem schlüpfrigen Rheinufer ausgerutschtund unbemerkt in den Strom gestürzt. Jetzt lag sie entweder am Grunde des Flusses oder wurde als Leichnam dem Meer zugetragen. Das wollte Anni einfach nicht einsehen.
Zufrieden damit, dass endlich eine Entscheidung gefallen war, die ihren Vorstellungen entsprach, informierten die Reisigen den Wirt über ihre geplante Abreise. Dessen Haus beherbergte jetzt im Winter weniger Gäste als in der warmen Jahreszeit, und doch war der gute Mann sichtlich erleichtert, denn die Sache mit der verschwundenen Edeldame warf einen hässlichen Schatten auf sein Ansehen. In den ersten Tagen nach dem Verschwinden der Dame hatte das Gerücht etliche Leute in seinen Schankraum gelockt, doch jetzt war die Sensationsgier gestillt, und die Gäste wollten von angenehmeren Dingen hören als von einer Frau, die unweigerlich ertrunken sein musste. Dies hatte der Vogt öffentlich festgestellt, und der war gewiss kein Mann, der leichtfertig über den Tod einer Edeldame hinwegging. Die Frau war in anderen Umständen gewesen, und Schwangere reagierten nun einmal seltsam. Das hatte der Wirt oft genug bei seiner Angetrauten erlebt, doch die hatte sich zu seinem Leidwesen nicht in den Rhein gestürzt, sondern machte ihm Tag für Tag das Leben zur Hölle.
Als er nach dem Gespräch mit den Reisigen in die Küche trat, in der die Mägde unter dem scharfen Blick der Wirtsfrau die Speisen zubereiteten, empfing diese ihn mit verkniffener Miene.
»Und? Was wollten die Kerle schon wieder von dir?«
»Das Gefolge der verschwundenen Dame wird morgen abreisen.« Der Wirt war froh, seiner Frau diese Nachricht überbringen zu können, denn ihr Gesicht nahm sofort einen milderen Ausdruck an.
»Es wurde auch Zeit! Die sind drauf und dran, unsere Herberge in Verruf zu bringen. Dabei können wir doch nichts dafür, dass die Frau sich in den Fluss gestürzt hat.«
Das Mitleid, das die Wirtin zu Anfang noch empfunden hatte, war mittlerweile gewichen, und sie war nicht minder erleichtertals ihr Mann, dass diese leidige Angelegenheit nun ihr Ende finden würde. Der Wirt machte die Rechnung fertig und kam dann zu Gereon zurück. Dieser starrte auf die Summe, die ihm arg hoch erschien, und eilte kopfschüttelnd zu Anni.
Ohne anzuklopfen, platzte er in das Zimmer, welches Anni und Mariele bewohnten. »Ich brauche Geld, um den Wirt zu bezahlen.«
»Wie viel?«, fragte Anni, die Maries Geldbörse an sich genommen hatte.
Gereon nannte eine erschreckende Summe.
»Aber das ist doch nicht möglich!«
»Der Wirt verlangt es, und ich weiß nicht, wie wir es ihm verweigern könnten. Jetzt gib schon her. Die Herrin hatte doch genug dabei.« Fordernd streckte Gereon die Hand aus und nach kurzem innerem Kampf reichte Anni ihm
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