Das Vermächtnis der Wanderhure
ausgebe.«
Schäfflein verstand den Wink. »Du bist natürlich mein Gast, Harro. Aber zuerst reden wir vom Geschäft. Ich habe eine Fracht auf dem Karren, von der niemand etwas erfahren darf. Sie ist für Jean Labadaire bestimmt.«
»Für Labadaire?« Die Augen des Schiffers weiteten sich für einen Augenblick, dann winkte er ab. »Das geht mich nichts an.«
»Ein wahres Wort! Daran solltest du dich halten. Wer ist dieser Labadär?« Xander drehte sich fragend zu Schäfflein um.
»Ein Franzose, der Ware jener Art, wie wir sie mit uns führen, weit weg von hier mit gutem Gewinn verkauft.«
»Ein Menschenhändler also.« Xander spie angeekelt aus. Einen Menschen umzubringen war eine Sache, jemanden wie diese Marie zu verschleppen ebenfalls, doch derjenige, der aus dem Verkauf von Menschen ein Geschäft machte, musste in den Augendes Ritters ein Sohn des Teufels sein. Für die Feindin seiner Herrin war es jedoch die richtige Strafe, in die Klauen eines solchen Mannes zu geraten und wie Vieh verschachert zu werden. Frau Hulda würde zufrieden sein, wenn er ihr das berichtete.
Er wies ungeduldig auf den Wagen. »Das Weib muss so schnell wie möglich ins Warme geschafft werden. Es braucht auch Medizin, denn es hat vor kurzem geboren und ist krank.«
»Meine Alte kann sich um die Frau kümmern, während wir in die Herberge gehen, uns einen guten Schluck genehmigen und uns die Mägde ein wenig näher ansehen. Handelt es sich bei dem Weib wieder um so eine Närrin, die dich über sich gelassen hat und schwanger geworden ist?« Harro starrte Schäfflein neugierig an.
Fulbert Schäfflein lief rot an. »Du hast eben selbst gesagt, dass dich meine Geschäfte nichts angehen. Also halte gefälligst den Mund!«
»Ja, Meister Schäfflein! Ich … Es ist mir halt so rausgerutscht.« Harro ging auf den Wagen zu, um die Frau herauszuheben. Für einen Augenblick hoffte er, anhand der Kleidung Hinweise auf ihren Stand zu erhalten, starrte dann aber enttäuscht auf den einfachen Kittel. Mit einem ärgerlichen Schnauben hob er den fieberheißen Körper vom Wagen und entdeckte dann das Kind, das das Weib trotz der halben Bewusstlosigkeit festhielt.
»Helft mir gefälligst, sonst fällt der Balg in den Schlamm!«
Auf Xanders Wink eilte Schäfflein zu ihm hin und wand Marie das Kind aus den Armen. »Jetzt mach schon!«, schnauzte er den Schiffer an.
»Hast du aber eine Laune!« Harro schüttelte den Kopf und trug Marie rasch in seine Hütte. Deren Inneres bestand aus der Küche, die auch als Schlafzimmer diente, und einem weiteren Raum, den der Schiffer als Speicher für besondere Waren benutzte. Im Winter stand diese Kammer zum größten Teil leer, aber sie war kaum wärmer als die Luft außerhalb der Hütte. Daherlegte der Schiffer Marie mit einem gewissen Bedauern auf das Bett, das er sonst mit seiner Frau teilte.
Im Licht des Herdfeuers nahm Xander die Gelegenheit wahr, das Paar zu betrachten, um die beiden besser einschätzen zu können. Harro war nicht mehr der Jüngste und wirkte mit seiner untersetzten Figur, dem kantigen, wie aus einem Holzklotz gehackten Gesicht und den kurzen, strubbeligen Haaren nicht gerade ansehnlich, doch seine Frau war schon eine alte, zahnlose Vettel.
Schäfflein bemerkte den leicht angewiderten Blick, mit dem der Ritter die Hausfrau musterte, und beeilte sich zu erklären, dass es sich bei ihr um die Witwe des alten Schiffers handelte, die den Regeln der Zunft folgend einen von dessen Gesellen geheiratet hatte. Das Paar sah so aus, als nage es am Hungertuch, doch Schäfflein kannte die beiden schon länger und wusste, dass sie unter dem Fußboden ihrer Hütte einen großen Topf mit Goldgulden vergraben hatten. Da er nach Anerkennung strebte und seinen Reichtum offen zeigen wollte, erschien ihm diese Art zu leben sinnlos und geradezu lächerlich. Was nützte der Besitz von Gold, wenn man nichts damit anfangen konnte?
Harro wusste, wie sein bester Auftraggeber über ihn dachte, und beantwortete Schäffleins herablassenden Blick mit einem amüsierten Grinsen. Ihm hatte es schon oft geholfen, als arm zu gelten, vor allem, wenn die hohe Obrigkeit von Worms, zu dessen Besitz das kleine Dörfchen zählte, Steuern bei ihm eintreiben wollte. Seine Alte konnte so wunderbar jammern, dass es selbst ein Herz aus Stein erweichen musste. Auch war er der Überzeugung, dass ein Mann seines Standes nicht nach mehr streben sollte, als ausreichend zu essen und zu trinken zu bekommen und gelegentlich eine hübsche
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