Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
Tautachers Schwatzhaftigkeit eine Gefahr für ihre Pläne darstellte. Zwar war er sein Kamerad, aber auch das größte Hindernis für seinen weiteren Aufstieg.
    Es war angenehm, sich vorzustellen, dass er in Stahl und Samt gekleidet hinter der Herrin stehen und die Achtung genießenwürde, die dem hochrangigen Dienstmann einer Edeldame zustand. Auch traute er es sich eher zu als Tautacher, den angeblichen Sohn seiner Herrin zu einem wackeren Ritter zu erziehen. Er würde den Jungen so formen und schmieden, wie es sich für den nächsten Herrn der Hettenheimer Besitzungen gehörte. Auf diese Weise würde auch er zu Ansehen und Wohlstand gelangen. Wenn alles so vonstatten ging, wie er es sich ausrechnete, würde er, der von den meisten Leuten trotz seiner Rittersporen nur Xander genannt wurde wie ein einfacher Reisiger aus dem Bauernstand, dereinst selbst ein Herr mit einem stolzen Namen werden.
    Schäfflein beobachtete seinen Begleiter und bemerkte, wie es in dessen Gesicht arbeitete. Lange Zeit wagte er es nicht, den Ritter anzusprechen, aber als das Kleinkind durchdringend zu schreien begann, geriet er in Panik.
    »Was sollen wir nur tun? Gleich kommen wir durch ein Dorf, und der Balg wird uns mit seinem Gebrüll die Leute auf den Hals hetzen!«
    »Halt an!«
    Als Xander vom Pferd glitt, wirkte seine Miene so grimmig, dass Schäfflein sein letztes Stündlein geschlagen sah. Doch der Ritter warf ihm die Zügel zu, stieg auf den Wagen und kroch unter die Plane. Dort schob er das Stroh zur Seite, unter dem die immer noch bewusstlose Marie mit dem Kind lag, zog den Sack weg, mit dem sie zugedeckt war, und lehnte sie mit dem Oberkörper gegen eine Seitenwand. Dann öffnete er die Schlaufen des Kittels und entblößte eine ihrer Brüste. Mit einer Miene, die deutlich machte, dass er derartige Tätigkeiten für weit unter seiner Würde erachtete, legte er ihr das Kind an die Brust. Das Kleine wurde sofort still und saugte sich am Quell der wärmenden Milch fest.
    »Die Herrin hätte uns Beate mitgeben sollen. Bei Gott, mir schwillt bei diesem Anblick der Schaft, doch ein Weib, das gerade erst geboren hat, ist nicht gerade das, was ich mir wünsche. Ichwerde wohl in der nächsten Stadt ein paar Groschen für eine richtige Hure ausgeben müssen. Dazu könntest du mich eigentlich einladen.«
    »Von Herzen gern!« Schäfflein hätte Xander beinahe die Hände geküsst, weil der Ritter offensichtlich nicht vorhatte, ihn und die beiden auf dem Wagen unterwegs zu beseitigen. Sicherheitshalber beschloss er, den Ritter mit mehr Gefälligkeiten als nur dem Besuch bei einer Hure bei Laune zu halten. Ein Mann, der gut gespeist und getrunken hatte und auch sonst zufrieden war, würde sicher nicht auf die Idee kommen, die Reise mit einem raschen Schwerthieb abzukürzen.
    Nach einer Weile legte Xander das Kleinkind wieder neben Marie und stieg aus dem Wagen. »Ich glaube, der Balg ist satt. Jetzt muss das Ding gewickelt werden. Aber das wirst du tun.«
    Schäfflein wagte keinen Widerspruch, sondern kroch unter die von drei gebogenen Stangen gehaltene Plane und begann das Kind zu wickeln. Da Hulda nicht geplant hatte, der Gefangenen die überflüssige Tochter mitzugeben, gab es keine sauberen Windeln. Daher schnitt Schäfflein ein Stück von dem Sack ab, auf dem Marie lag. Während er das Kleine wieder einpackte, bemerkte er, dass sich das Kind viel zu kalt anfühlte, und schob es unter Maries Kittel, so dass deren Körper es wärmen konnte. Dann legte er den zweiten Sack auf die beiden und häufte das Stroh möglichst dick über ihnen an.
    Während er weiterfuhr, versuchte er auszurechnen, wie schnell sie vorankommen würden. Es galt nämlich, zu einem bestimmten Zeitpunkt in Koblenz zu sein, sonst würde er das Weib und das Kind das ganze Jahr über am Hals haben.
    »Wir müssen schneller werden, sonst bekommen wir Probleme«, rief er Xander zu.
    Der zuckte mit den Schultern. »Von mir aus! Dann lass deinen Zossen mal die Peitsche spüren.«
    Das waren die letzten Worte, die sie für längere Zeit wechselten.Um kein Aufsehen zu erregen, mieden sie an diesem und den folgenden Abenden Dörfer und Herbergen. Stattdessen machten sie es wie das heimatlose Volk und übernachteten in Unterständen oder Hütten im Wald, die während der wärmeren Monate zumeist von Sauhirten benutzt wurden. Xander machte die Unbequemlichkeit der primitiven Schuppen weniger aus als Schäfflein, denn er rührte keinen Finger, sondern überließ es dem Kaufmann,

Weitere Kostenlose Bücher