Das Vermächtnis der Wanderhure
die Gefangene, das Kind, das Pferd und auch ihn zu versorgen. Bald gingen die spärlichen Vorräte an Heu und Hafer zur Neige, die Hulda ihnen mitgegeben hatte, doch Schäfflein wagte es nicht, das durch den Wind und das viele Umräumen spärlicher werdende Stroh und die dünne Schicht Heu zu verfüttern, mit denen die Knechte den Wagen für die Gefangene gepolstert hatten. Es bestand schon jetzt die Gefahr, dass die Frau und das Kind über kurz oder lang erfroren, und dann würde der Ritter keine Verwendung mehr für einen Mitwisser haben. Daher fuhr der Kaufmann mit dem leeren Wagen zu einem nahe gelegenen Bauernhof und kaufte dort Lebensmittel und Futter. Nun hatte er genug Heu, um die Frau und das Kind weich zu betten und wärmer einzupacken als mit dem ständig verrutschenden Stroh.
Trotz aller Fürsorge, die Schäfflein der Gefangenen und dem Säugling angedeihen ließ, sah es lange so aus, als würde er seine menschliche Fracht nicht lebend bis zum Rhein bringen. Da ihm der Schlaftrunk, den Frau Hulda ihm mitgegeben hatte, nach zwei Tagen ausging, erwachte Marie aus ihrer Betäubung, doch sie war nicht in der Lage, ihre Umgebung oder ihre Lage zu erkennen. Sie vermochte nicht einmal allein zu essen, so dass Schäfflein sie wie ein kleines Kind füttern und ihren Unterleib weiterhin selbst versorgen musste. Doch er beklagte sich nicht über diesen Knechtsdienst, sondern war nur erleichtert, dass die Frau nicht in der Lage war, um Hilfe zu rufen. Er wagte es nicht, in einem der Marktflecken, die sie passierten, nach frischemMohnsaft zu fragen, denn er fürchtete sich vor dem Aufsehen, das er mit diesem Wunsch unweigerlich erregen musste.
Als sie in der Nähe von Worms den Rhein erreichten, fühlte der Kaufmann, wie ihm ein Felsblock vom Herzen rutschte. Zwar musste er hier in der Nähe seiner Heimatstadt doppelt Acht geben, damit man ihn in seiner Verkleidung als Fuhrknecht nicht erkannte. Aber wenigstens näherte sich dieses peinliche, Kraft raubende Zwischenspiel für ihn nun dem Ende. Er zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht, lenkte den Karren ein Stück stromabwärts zu einem kleinen Dorf und hielt vor einer heruntergekommenen Hütte. Diese gehörte einem Schiffer, der für ihn unter anderem auch Waren transportierte, welche nicht in den Frachtlisten verzeichnet waren.
»Reitet ruhig schon weiter zur Herberge! Ich muss mit Harro reden«, erklärte er Xander.
Der Ritter bleckte die Lippen zu einem freudlosen Grinsen. »Ich bleibe dabei, denn die Herrin wird genau wissen wollen, was mit dem Weib geschieht.«
Schäfflein zuckte mit den Schultern, stieg ab und wickelte die Zügel des Zugpferds um einen Pfosten. Dann klopfte er dreimal an die Tür.
Es dauerte eine Weile, bis Antwort kam. »Wer zum Teufel stört mich zu dieser unchristlich kalten Zeit? Ich übernehme jetzt keine Fracht!«
»Mach auf, Harro! Ich bin es, Meister Fulbert.« Schäfflein hielt es nicht für geraten, bei diesem Mann mit seinem mühsam errungenen Rittertitel zu prunken. Der Schiffer war zwar zuverlässiger als die meisten seiner Zunft, doch er hielt nichts von hohen Herren. Das zeigte er sehr deutlich, als er die Tür öffnete und Xander in seiner Rüstung hinter Schäfflein stehen sah.
»So einer kommt mir nicht ins Haus!« Dabei spie er den Kern einer Trockenpflaume, an dem er gerade gelutscht hatte, dem Ritter so knapp vor die Füße, dass diesem der Kamm schwoll.
»Gleich gebe ich dir eine Maulschelle, dass dir der Kopf von den Schultern fliegt!« Xander holte bereits aus, als Schäfflein dazwischentrat.
»Lasst das bitte! Und du auch, Harro. Der Ritter ist keiner von denen, die dir die Peitsche überziehen, weil das Spritzwasser des Rheins ihre schmucken Kleider benetzt hat.«
»So einer bin ich gewiss nicht.« Xander lachte leise auf und nickte dem Schiffer zu. »Komm, lass uns ein! Hier draußen frieren einem ja die Eier ab.«
»Solange du sie in einer eisernen Schale trägst, können sie ja nicht warm werden«, spottete der Schiffer.
Xander klopfte ihm auf die Schulter und zwinkerte Schäfflein zu. »Wie war das mit den Huren und dem Wein, die du mir bezahlen wolltest? Jetzt wäre die beste Gelegenheit dazu.«
Der Schiffer leckte sich die Lippen. »In der Herberge gibt es ein paar hübsche Mägde, und der Wein, den der Wirt ausschenkt, gehört zu den besten, die ich bis jetzt gekostet habe. Leider bin ich derzeit ein wenig klamm, und meine Alte lässt es nicht zu, dass ich meine letzten Münzen in der Schenke
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