Das Vermächtnis der Wanderhure
hatte bieten müssen, zu einer Fahrt auf dem winterlichen Rhein überreden lassen.
Als das Kind zu greinen begann, überlegte Xander, ob er sich dieses Störenfrieds entledigen sollte. Aber als er Harro den Vorschlag machen wollte, fiel ihm siedendheiß ein, dass es sich bei dem Säugling nicht um das Kind der Hure handelte, sondern um eine Tochter seiner eigenen Herrin und des von ihm verehrten Falko von Hettenheim. Legte er Hand an dieses Mädchen, würde er ein Verbrechen begehen, auch wenn seine Herrin das Kind von sich gestoßen hatte. Seufzend machte er sich daran, die Kisten und Ballen umzuschichten, bis er den Kasten mit der Gefangenen öffnen und das Kind herausnehmen konnte. SeineNase verriet ihm, dass es frisch gewickelt werden musste. Da sie Harros Warenstapel genug saubere Tücher entnommen hatten, stellte das kein Problem mehr dar. Er wusch den Hintern des Kindes mit kaltem Rheinwasser, band ihm eine frische Windel um und legte es der halbbetäubten Marie an die Brust. Zufrieden sah er, dass die Kleine kräftig zu saugen begann.
X.
S ie kamen rascher voran, als Xander angenommen hatte. Harro kannte den Strom tatsächlich besser als die Läuse in seinem Hemd und nützte jede sich bietende Gelegenheit, die Kontrollen durch die Zöllner zu umgehen. Da sein Prahm einen flachen Boden hatte und nicht sonderlich tief im Wasser lag, gelang es ihm, in den Nächten über einige der Ketten zu fahren, die an den Zollstationen den Strom sperrten. Dafür nahm er es in Kauf, weite Strecken in der Dunkelheit zurückzulegen. Ein paarmal wurden sie von den Wächtern entdeckt und vernahmen barsche Rufe, die bald hinter ihnen verhallten, und einmal zischte ein Pfeil dicht an Xanders Kopf vorbei und durchschlug seine Kapuze. Pausen legten sie nur in kleineren Orten ein, in denen Harro Freunde aufsuchen konnte, die selbst keine reinen Westen hatten. Dort erhielten sie warmes Essen und genügend Vorräte für die Weiterreise. Zu Xanders Erleichterung stellte niemand neugierige Fragen, wenn sie ihre Gefangene ins Warme brachten, dort säuberten und wie ein mutterloses Kalb tränkten. Zunächst war die Frau nur in der Lage, Suppe zu schlucken, doch zu Xanders Erleichterung vermochte sie nach einigen Tagen auf dem Brot herumzukauen, das er ihr in den Mund steckte, auch wenn sie die Zähne so langsam und gemächlich bewegte wie eine alte Kuh.
»Ich glaube, das Weib ist verrückt geworden«, erklärte Harro, alssie die Umrisse der Burg Lahneck hoch über dem rechten Rheinufer aufragen sahen.
Xander zuckte mit den Schultern. Maries geistige Verfassung interessierte ihn nicht, solange sie zu jenem Ort geschafft wurde, den seine Herrin für sie vorgesehen hatte. »Hauptsache, sie schreit uns nicht die Leute zusammen. Sieh du nur zu, dass du diesen Franzosen erwischst, damit wir die Frau endlich loswerden.«
Harro hob die freie Hand. »Labadaire wird keine Verrückte mitnehmen wollen.«
»Wenn du deine Belohnung kassieren willst, wirst du ihn dazu überreden müssen!« Xander lachte böse, denn er hatte begriffen, dass Harro noch mehr Geld aus der Sache herausschlagen wollte. Da ihnen der Kräutersaft ausgegangen war und die Gefangene daher wach sein musste, hatte er schon befürchtet, sie finge zu jammern an und würde um Hilfe schreien. Aber sie schien sich nur für das Kind zu interessieren und blieb ansonsten stumm. Also würde sie seiner Ansicht nach auch dem Sklavenhändler keine Probleme bereiten. Er selbst konnte es kaum noch erwarten, seine menschliche Fracht loszuwerden, denn die Fahrt begann zur Qual zu werden. Das Wetter war selbst für diese Jahreszeit zu kalt und es regnete seit Tagen ununterbrochen. Auf den Höhen zu beiden Seiten des Rheins musste es wohl schneien, denn sie wirkten wie mit Mehlstaub gepudert. Das Einzige, was seine Laune aufrechterhielt, war der Gedanke an eine warme Wirtsstube, in der er gemütlich beim Wein sitzen und jene Mägde in den Hintern kneifen konnte, mit denen er später in ihren Kammern verschwinden würde.
Harro lenkte das Boot an Kiesbänken vorbei, die aus dem Niedrigwasser führenden Strom herausragten, und hoffte, er bekäme genug Schwung, das kleine Kap ohne mühsames Staken umrunden und bei Koblenz anlegen zu können. Dort, so erklärte er Xander wortreich, würden sie nicht allzu lange auf den Sklavenhändlerwarten müssen. Seine Worte mochten prophetisch gewesen sein, denn als die Moselmündung in Sicht kam, schoss eine klobig gebaute Barke auf den Strom hinaus und
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