Das Vermächtnis der Wanderhure
Schwierigkeiten hatte wie sie mit seiner. Nach einer weiteren Erklärung begriff er, was sie wollte, und winkte lachend ab. »Woher soll ein Matrose wie ich Papier und Schreibzeug nehmen? Und weißt du überhaupt, wie viel es kostet, einen Brief tief ins Reich zu senden? Der Postmeister unserer Gilde würde mir gewiss zwanzig Schillinge dafür abverlangen.«
»Wenn du es tust, wirst du zehnmal so viel erhalten«, erklärte Marie ihm verzweifelt.
»Genauso könntest du mir die ewige Seligkeit versprechen, denn es liegt nicht in deiner Macht, mir das eine wie das andere zu geben. Hier, wisch den Boden auf. Es stinkt nämlich gewaltig.« Mit diesen Worten griff der Matrose nach oben, brachte einen riesigen nassen Lappen zum Vorschein und warf ihn Marie an den Kopf. Danach stieg er von ihren Flüchen begleitet die Leiter hinauf und schloss die Luke hinter sich.
Marie starrte auf den Lumpen in ihrer Hand und feuerte ihn dann in die nächste Ecke. Als hätte er darauf gewartet, öffnete der Matrose erneut die Luke und sah grinsend auf sie herab.
»Wenn bis zum Abend hier nicht alles sauber ist, erhältst du weder etwas zu essen noch eine Decke – und die Nächte auf dem Meer sind um diese Jahreszeit verdammt kalt.«
Damit verschwand er wieder, und Marie kämpfte verbissen gegen die Tränen an, die in ihr aufsteigen wollten. Das Schicksal meint es wirklich nicht gut mit mir, dachte sie, während sie sich auf die Suche nach dem Lumpen machte und im Schein der Laterne, die diesen Raum nur wenig erhellte, den Boden zu säubern begann.
III.
W ie lange das Schiff im Hafen geblieben war, vermochte Marie später nicht zu sagen. Wahrscheinlich waren es nicht mehr als zwei oder drei Tage, doch ihr kam die Zeit endlos vor. Sie war an ein reiches Tagwerk gewöhnt, und da sie wieder etwas zu Kräften gekommen war, fiel es ihr schwer, fast regungslos in dem Verschlag zu sitzen, der zu klein war, als dass sich alle darin Eingesperrten zum Schlafen ausstrecken konnten. Wenigstens wollte man sie nicht verhungern lassen, denn es gab genug zu essen. Aber die beiden Mahlzeiten, die morgens und abends gereicht wurden, bestanden immer nur aus Eintopf mit Heringen, denenMarie schon früher wenig hatte abgewinnen können und die sie nun hassen lernte. Von Zeit zu Zeit musste sie zusammen mit Alika den Eimer für die persönlichen Bedürfnisse hochreichen, damit er geleert werden konnte. Dabei konnte sie einen Blick auf das nächsthöhere Deck des Schiffes erhaschen, auf dem jedes Mal mehr Fässer und Ballen verstaut worden waren. Von dort führte, wie sie wusste, eine weitere Leiter ins Freie, doch auch die konnte mit einer Luke versperrt werden.
Die Matrosen sorgten dafür, dass sich den Sklaven nicht die geringste Chance zur Flucht bot, denn sie schlossen und verriegelten die Luke sofort wieder, wenn sie ihre Gefangenen versorgt hatten. Marie machte keinen Versuch mehr, einen von ihnen anzusprechen, denn um etwas erreichen zu können, hätte sie Geld benötigt. Also konnte sie nur warten und hoffen, dass sie an einen Ort geschafft wurde, den sie auf eigenen Füßen Richtung Heimat verlassen konnte. Hie und da fragte sie sich, was man wohl mit ihr vorhatte, wenn man sie wie ein Stück Vieh in die Fremde geschafft hatte. Sie hatte schon von den schrecklichen Schicksalen christlicher Sklaven in den Händen der Heiden gehört und fragte sich, ob man sie ebenfalls an die Wilden verschachern würde. Es war auch möglich, dass man sie an einen Landbesitzer verkaufte, der sie unter seine Leibeigenen steckte und zu Frondiensten zwang. Dann musste sie davonlaufen, ehe dieser sie, wie es üblich war, einem seiner Hörigen zum Weib gab.
Als das Schiff sich mit einem Ruck auf die Seite legte und wesentlich stärker schwankte als vorher, begriff Marie, dass ihre Heimat nun noch weiter hinter ihr zurückblieb. Wahrscheinlich würde sie in Gegenden verschleppt, deren Namen man im Reich noch nicht gehört hatte. Sie musste sich zwingen, gelassen zu bleiben, denn einige der Kinder, die nur auf dem verhältnismäßig ruhigen Rhein transportiert worden waren, gerieten in Panik, schlugen um sich und schrien ohrenbetäubend.
Ihr blieb nichts anderes übrig, als Lisa festzuhalten, die sich auchin dieser Situation vertrauensvoll an sie schmiegte, und Alika zu beruhigen. »Anscheinend geht es los.«
Die junge Mohrin kniff die Augen zusammen, als müsse sie über diese Worte nachdenken. Während jener Tage auf dem Rhein, an denen sie bei Bewusstsein
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