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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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musste, vermochte sie bald nicht mehr zu sagen. Als sie schon glaubte, diese Fahrt werde niemals enden, schien es dem Kapitän nicht schnell genug zu gehen, seine lebende Fracht loszuwerden. Kaum war das Schiff in einen weiteren Hafen eingelaufen, wurde die Luke aufgerissen und eine kräftigere Laterne an einen Haken unter der Decke gehängt. Zwei Matrosen sprangen herab, stelltenmehrere mit Wasser gefüllte Eimer auf den Boden und legten einen in fleckiges Leinen gewickelten Ballen dazu.
    »Waschen und anziehen, Gesindel!«, brüllten sie.
    Marie wunderte sich selbst, wie gut sie die Leute mit einem Mal verstand, doch noch ehe sie auf den Beinen war, stürzten sich die sechs Schuldnerinnen auf die Eimer, streiften ungeachtet der grinsenden Männer ihre schmuddelig gewordene und modrig riechende Kleidung ab und wuschen sich von oben bis unten. Bis auf eine, die so hager war, dass man jede Rippe deutlich sehen konnte, standen die Frauen gut im Fleisch und schämten sich nicht, den Matrosen ihre Vorzüge zu zeigen. Die Männer trieben jetzt auch die Kinder an, sich zu säubern. Marie, die sich nicht ausschließen konnte, trug einen der Eimer nach hinten in das Halbdunkel und zog sich so aus, dass sie den Matrosen nur die Kehrseite zeigte. Auch Alika schlüpfte aus ihrem Kittel und brachte recht ansehnliche Brüste zum Vorschein, deren Umfang sich allerdings nicht mit denen der hochgewachsenen Schuldnerinnen messen konnte. Marie und die Mohrin beeilten sich mit dem Waschen, sahen sich dann aber gezwungen, nackt zu dem Bündel zu gehen, um sich frische Kleidung herauszusuchen.
    Unter dem anfeuernden Pfeifen und Rufen der Matrosen begann nun ein Kampf um die passende Kleidung, bei dem sich die sechs Schuldsklavinnen durchsetzten. Doch es gab genug für alle, und Marie gelang es, ein Hemd für sich zu ergattern, das sie sofort überzog, und einen weiten Rock, ein Mieder und ein Schultertuch unter den gierigen Händen der anderen herauszuziehen. Dann verhalf sie Alika zu einem Unterkleid und einem Rock und fand auch eine der Freundin passende Ärmeljacke und ein dazu gehörendes Brusttuch. Die Mohrin wirkte in dieser Tracht wie ein ängstliches kleines Mädchen, so dass Marie sie in einem Impuls an sich zog und streichelte. Für Lisa nahm sie ein kleines Hemd und ein Schultertuch an sich, in die sie das Kind einhüllen konnte. Als die Kleine frisch eingepackt war, wartete sie an Alikageschmiegt auf das, was nun geschehen würde. Da die höhnischen Kommentare, mit denen die Matrosen die Sklaven bisher bedacht hatten, plötzlich verstummten, blickte Marie unwillkürlich auf und sah zum ersten Mal den Mann vor sich, der ihr Schicksal in Händen hielt.
    Zoetewijn trug bauschige Hosen aus gutem Tuch, ein vorne offen stehendes graues Wams und darunter eine eng anliegende braune Weste mit silbernen Zierknöpfen. Auf seinem Kopf saß eine Pelzmütze, und in der Hand hielt er einen Stock, dessen Spitze leise vibrierte. Ohne Warnung versetzte er einer der Frauen, die ihm zu nahe gekommen war, einen Hieb und zwang sie und die anderen, vor ihm zurückzuweichen.
    Der Kapitän begutachtete seine menschliche Fracht und nickte schließlich zufrieden. Diesmal hatte er mehr Sklaven mitgebracht als in den letzten Jahren, und alle wirkten so gesund, wie man es bei ausreichender Ernährung erwarten konnte. Mit seinem Stock sortierte er einige der Kinder und Halbwüchsigen aus. Seine Miene verriet Marie, dass er sich von diesen das beste Geschäft versprach, denn sie waren alt genug, um zupacken zu können, und dabei noch so jung, dass sie sich mit ihrem Schicksal abfinden würden.
    Den sechs Frauen schenkte er nur einen kurzen Blick, und als sie sich beschwerten, weil er es ihnen missgönnt hatte, sich ein paar Münzen bei seinen Matrosen verdienen zu können, befahl er ihnen mit einem Wort zu schweigen. Er hielt an Bord seiner Kogge auf strenge Disziplin, und wenn seine Männer eine Hure besteigen wollten, sollten sie das in den Bordellen der Hafenstädte tun. Bei dem Gedanken spielte ein spöttisches Lächeln um seine Lippen. Wahrscheinlich würden seine Leute schon am Abend ihr Geld für die Weiber ausgeben, die sich eben beschwert hatten, denn sie waren schon so gut wie verkauft.
    Sein Blick glitt nun suchend über die Köpfe der verängstigten Kinder hinweg und blieb auf jener Frau haften, die sein Maat erwähnthatte. Als er den selbstbewussten Ausdruck auf ihrem Gesicht bemerkte, wurde ihm klar, dass sie tatsächlich keine einfache Magd

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