Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
können. Doch als er ihn aufforderte, etwas zu sagen, blickte das Kind mit zusammengepressten Lippen zu Boden. Labadaire grinste. »Lasst mich nur machen, ehrwürdiger Vater!«
    Dann erklärte er dem Jungen in schlechtem Arabisch, dass man ihm den Bauch aufschlitzen würde, wenn er sein Schweigen nicht aufgab. Erschrocken sah dieser ihn an und stammelte ein paar Worte.
    »Der Knabe hat eine schöne Stimme und wird sich in meinem Chor gut machen.« Der Priester wirkte zufrieden. Auch wenn er schon das eine oder andere Mal ein Heidenkind geschenkt bekommen oder in seltenen Fällen sogar losgekauft hatte, erschien ihm dieser kleine Maure als etwas ganz Besonderes. Er stellte sich den Jungen im Chorhemd vor und glaubte schon, ihn jubilierend Gott in der Höhe preisen zu hören. Dabei achtete er kaum noch auf Zoetewijn, der die Liste noch einmal durchging.
    »Das wäre alles, hochwürdiger Vater!« Der Kapitän trug den letzten Namen ein, der auf Labadaires Liste stand. Die Schrift war kaum zu entziffern, doch darauf kam es auch nicht an, sondern auf die Notiz, dass es sich um ein Ketzerweib mit seinem Säugling handele, die Labadaire aus Frankreich mitgebracht hatte. Frauen interessierten den Priester wenig, und Ketzerinnen gleich gar nicht. Daher nahm er die Feder, die Zoetewijn ihm erwartungsfroh reichte, tauchte sie in das Tintenfass und setzte die Erklärung unter die Liste, dass er die menschliche Fracht geprüft und für gut befunden habe. Diese Versicherung unterschrieb er mit seinem Namen und dem seiner Kirche. Wie bei jedem Kontrollbesuch auf einem der Sklavenschiffe war Vater Abraham davon überzeugt, ein gutes Werk getan zu haben, indem er den Menschenhändlern auf die Finger sah. Er nickte Zoetewijn und Labadaire noch einmal zu, packte den Maurenknaben an der Schulter und forderte ihn zum Mitkommen auf. Der Maat legte ihm den Umhang so über die Schulter, dass der Priester und dasKind darunter geborgen waren, und dann verließ der Mann Gottes zufrieden lächelnd die Kajüte.
    Labadaire wartete, bis die Schritte des Pfarrers verklungen waren, und fing dann schallend an zu lachen. »Den Schwarzrock habt Ihr ja leicht geködert. Sagt bloß, Ihr schenkt ihm jedes Jahr einen hübschen Knaben! Die braucht er doch gewiss nicht nur zum Singen.«

II.
     
    M arie schalt sich eine blutige Närrin. Wie hatte sie nur annehmen können, dass man ihr verzweifeltes Gestammel ernst nehmen würde? Aber sie war nicht dazu gekommen, richtig nachzudenken, denn sie hatte zum ersten Mal, seit sie wieder zu Bewusstsein gekommen war, einen anderen Menschen vor sich gesehen als die Mohrin und die gefangenen Kinder. Daher hatte sie die Gelegenheit, sich bemerkbar zu machen, nicht ungenützt verstreichen lassen wollen. Der Mann hatte ihr jedoch nicht einmal richtig zugehört, sondern ihr einen Schlag mit seinem Stock versetzt, der immer noch schmerzte, wenn auch nicht so stark wie ihre Wut auf sich selbst.
    »Ich bin dumm, ganz einfach nur dumm! Ich hätte mir doch selbst nicht geglaubt, wenn ich solch eine Geschichte gehört hätte.« Alika sah Marie sorgenvoll an. Die junge Mohrin hatte Maries Versuch mit angesehen, mit dem Maat der Geit zu reden, aber da sie die Worte nicht verstanden hatte, begriff sie auch nicht, warum die Frau nun so verzweifelt war. Um sie auf andere Gedanken zu bringen, legte sie ihr das kleine Mädchen in den Schoß.
    Marie blickte auf das Kind und sagte sich, dass das Schicksal sie mit einer Pflicht geschlagen hatte, die sich bei einer möglichen Flucht als ein Hemmschuh erweisen würde. Die Kleine warnicht ihr Fleisch und Blut, dennoch fühlte sie sich für das kleine Würmchen verantwortlich.
    Während der letzten Tage hatte das Mädchen regelmäßig trinken können und war sichtlich gediehen. Dazu mochte auch beigetragen haben, dass Maries Milch reichlicher floss als während ihrer Krankheit. Sie freute sich, dass es dem Kind besser ging, und wunderte sich über ihre fast mütterlichen Gefühle der Tochter jener Frau gegenüber, der sie ihre elende Lage zu verdanken hatte. Sie konnte ihr Schicksal jedoch nicht einem Geschöpf übel nehmen, das von seiner eigenen Mutter in die gleiche Hölle gestoßen worden war. Da sie und das Kleine nun einmal mit unsichtbaren Banden aneinandergefesselt waren, musste das Kind einen Namen bekommen. Sie bezweifelte, dass Hulda ihre Tochter christlich hatte taufen lassen, denn dann hätte sie sich offiziell zu ihr bekennen müssen. Sollte das kleine Mädchen nun trotz aller

Weitere Kostenlose Bücher