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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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fünfzig, dessen von grauen Strähnen durchzogener Bart fast bis zur Taille reichte und der mit einer langen schwarzen Kutte bekleidet war. Auf seinem Kopf trug er eine schwarze Kappe, die nur das Gesicht freiließ. Er blickte Marie geradezu angewidert an und sagte etwas, das sich nicht gerade freundlich anhörte. Auf eine bittende Geste der Haushofmeisterin berührte er Maries nackte Brüste mit einem großen silbernen Kreuz, das an einer langen Kette um seinen Hals hing, sprach ein paar verärgert klingende Worte und verließ beinahe fluchtartig die Kammer.
    Die Haushofmeisterin zeigte auf den fürstlichen Säugling, den eine Magd in den Armen hielt, und machte Marie klar, dass sie ihn säugen sollte. Marie nickte und bot dem Kleinen eine ihrer Brustwarzen an. Zunächst drehte der Junge den Kopf weg und begann zu greinen, doch als Marie ein wenig Milch herausdrückte und sein Köpfchen vorsichtig wieder an ihre Brust drehte, schnappte er fast schmerzhaft zu und saugte so gierig, als hätte man ihn seit Tagen hungern lassen.
    Die Russin nickte zufrieden und schlug erneut das Kreuz. Dann verließ sie die Kammer und ließ Marie allein mit den beiden Säuglingen und der jungen, noch kindlich aussehenden Magd, die die Stillende mit einer Mischung aus Neid und Hass betrachtete.
    »Ich bin Marie«, sagte Marie, um das beklemmende Schweigen zu brechen.
    Die andere schürzte nur die Lippen und warf den Kopf hoch. Marie fragte sich, weshalb der Mann, der offensichtlich ein Priesterwar, und die junge Russin ihr so feindselig gegenüberstanden, und ahnte, dass es etwas mit dem Glauben zu tun haben musste. Sie selbst war der Ansicht, dass es mehr auf den Geist ankam, in dem man seine Gebete sprach, und weniger auf die Form. Das aber hatte sie schon zu Hause nicht laut sagen dürfen, und in diesem Land würde sie sich den hiesigen Riten unterwerfen müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Der Herrgott im Himmel, Herr Jesus Christus und die Mutter Maria würden gewiss nicht so kleinlich sein, einen Menschen nur deswegen zu verdammen, weil er sein Kreuz auf eine andere Weise schlug, als es der Priester in der Heimat verlangte.
    Maries Gedankengang wurde von Lisa unterbrochen, die zu weinen begann. Es war, als ahne das Mädchen, dass seine Nahrungsquelle nicht mehr ihm allein gehörte. Da der Junge inzwischen satt war und nur noch zufrieden nuckelte, entzog sie ihm die Brust. Die kleine Magd forderte sie mit heftigen Gesten auf, ihn noch einmal anzulegen, doch er drehte sein Köpfchen weg und begann zu schreien.
    Da entriss die Russin Marie den Knaben, wiegte ihn auf ihren Armen und schnüffelte an seiner Windel. Dann stieß sie ein paar Worte aus, die sehr erleichtert klangen, und verschwand mit dem Kind aus dem Raum. Marie schloss die Tür hinter ihr und sah sich um. Leider gab es keinen Riegel und auch kein Möbelstück, das sie gegen das Türblatt hätte schieben können, um ein wenig Privatsphäre zu haben. Die schien man ihr hier ebenso wenig zugestehen zu wollen wie auf der Geit.
    Da Lisa immer lauter schrie, hob Marie sie auf, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und ließ die Kleine saugen. Lisa war sofort still, doch der bis jetzt schier unerschöpflich fließende Milchquell versiegte viel zu schnell. Das Mädchen nieste und blickte seine Pflegemutter vorwurfsvoll an.
    »Ich würde dir ja so gerne helfen, mein Schatz.« Marie seufzte bedauernd, erinnerte sich an die Ziege und verließ mit der Kleinenauf dem Arm ihre Kammer. Niemand schien sich um sie zu kümmern, und für einen Augenblick träumte sie davon, einfach loszugehen und nicht eher anzuhalten, bis sie die Heimat erreicht hatte. Da entdeckte sie die Wachen des Fürsten, die den Gästetrakt weiträumig absicherten und sie gewiss aufhalten würden, und gab den Gedanken mit einem Achselzucken auf. Stattdessen hielt sie die erste Magd an, die ihr über den Weg lief.
    »Wo ist hier die Küche?« Sie erntete einen verständnislosen Blick, machte dann die Geste des Essens und erntete ein nervöses Kichern. Die Magd sprudelte ein paar Worte heraus, öffnete eine Tür und zeigte auf eine Art lang gestreckten Schuppen, der aus Steinen errichtet und mit Holzschindeln gedeckt war. Durch Löcher im Dach zog Rauch ab. Da niemand sie daran hinderte, lief Marie hinüber und betrat das Gebäude. Mehrere aus Lehm gemauerte Herde reihten sich in der Mitte des langen, schmalen Raumes aneinander. Über ihnen hingen die Töpfe nicht an Haken, die mit Ketten oder Stangen an der Decke

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