Das Vermaechtnis des Caravaggio
Degenspitze ließen nur eine Vermutung zu: Der
Johanniter zerschnitt das Bild, zerstörte das ‚Haupt des Johannes‘. Wieder und
wieder stach der Johanniter zu, zog den Degen durch die Leinwand und warf die
Fetzen, die so entstanden, über die Staffelei hinweg die Gassenschlucht
hinunter. Dabei hörte sie ihn fluchen, hörte, wie er Verwünschungen murmelte,
wie er immer wieder das Zimmer durchschritt, andere Leinwände umwarf, ihr Bett
zerwühlte, die Holzschuhe gegen die Wand schleuderte, das Nachtgeschirr
zerschlug und dann seine ganze Wut wieder gegen das Bild richtete. Schließlich
zerstörte er den Rahmen mit einigen gezielten Hieben und stieß die Staffelei
gänzlich um.
Während dieses Wutausbruchs
zitterte Nerina am ganzen Körper. Sie biss die Zähne zusammen, damit sie nicht
klapperten, und versuchte das Schluchzen zu unterdrücken, das ihren Körper
schüttelte. Was trieb diesen Menschen dazu, so zu wüten?
„Ich werde dich langsam
niederbrennen lassen wie eine Kerze!“, vernahm Nerina seine Stimme, als der
Johanniter heftig atmend in seinem Zerstörungswerk innehielt. „Jeder Hieb soll
eine Mahnung sein für die Vergangenheit. Versteckt dich, Caravaggio, ich finde
dich überall. Alles was dir lieb ist, werde ich hassen.“
Als wäre er von der körperlichen
Anstrengung erschöpft, hörte Nerina ihn durchs Zimmer schlurfen. Er betrat
erneut Micheles Atelierraum.
Gott sei Dank stehen die vollendeten
Bilder nicht mehr dort, dachte Nerina. Die sieben Werke der Barmherzigkeit
hatte Michele gestern noch übergeben, und die Geißelung stand seit heute beim
Kaufmann Lorenzo de Franchis zur Ansicht. Der hatte darauf bestanden, das
unvollendete Werk zu sehen. Deshalb malte Michele heute auch nicht. Bestimmt
betrank er sich mit den ausgezahlten Honoraren. Mit geschlossenen Augen
verfolgte Nerina die Geräusche im Atelier und war sich sicher, dass der
Johanniter wieder zum Fenster trat. Vielleicht sah er hinaus, um zu überprüfen,
ob jemand draußen stand. Als wäre alle Erstarrung von ihr gewichen, machte sie
einen Schritt in Richtung Tür und schlüpfte durch die offenen Jalousien. Keinen
Augenblick zu früh, wie sie noch im Augenwinkel bemerkte, denn tatsächlich streckte
der Johanniter den Kopf nach draußen und suchte die Balkone ab.
Da der Boden mit den Resten des
Bildes, mit Holzteilen und Leinwandfetzen übersät war, machte es ihr
Schwierigkeiten, kein Geräusch in ihrem Zimmer zu verursachen. Sie sah nicht,
wohin sie ihre Füße setzte, und trat auf einen der Nägel, die das Leinen auf
dem Rahmen gehalten hatte, spürte, wie sich beim Rückwärtsgehen das Eisen mit
einem hässlichen Geräusch in die Ferse bohrte, und hätte beinahe laut
aufgeschrien. Mit der Hand fasste sie sich an den Mund. Schweiß trat ihr am
ganzen Körper aus. Plötzlich fühlte sie ihr Hemd klatschnass am Körper kleben.
So stand sie und wartete, aber
nichts geschah. In ihrer Aufregung hatte sie überhört, ob der Johanniter jetzt
das Atelier verlassen hatte oder ob er im Nebenraum verharrte und darauf
wartete, dass sie sich verriet. Sie sah nur Nero, der in einer Ecke kauerte,
die Schnauze auf den Pfoten, und sie wie schuldbewusst ansah. Seine Augen
leuchteten im Dunkeln grünlich.
So stand sie und wartete, bis ihr
plötzlich die Knie wegbrachen und der Schmerz sich wie eine heiße Nadel den
Rücken hinauf in den Hinterkopf bohrte.
21.
Die frische Brise und das Schaukeln
des Bootes taten ihm gut. Seekrank wurde Enrico nicht, das wusste er. Im
Gegenteil, er fühlte sich wie gewiegt und konnte seine Gedanken schweifen
lassen, wenn er aufs vorüberziehende Festland, oder noch lieber auf das
horizontlose Meer sah. Dort hinten konnte man Land ahnen, Sardinien, Sizilien,
das afrikanische Festland, Orte, die Halt boten oder dies zumindest
vorgaukelten. Den Gedanken legte sich kein Hindernis in den Weg, sie konnten frei
schweifen, einen Tagtraum träumen.
Er reiste im Auftrag, und das
versetzte ihn in eine gewisse Hochstimmung. Ferdinando Gonzaga schickte ihn
nach Neapel, um Caravaggio ausfindig zu machen und ihm Bilder abzukaufen, und
so Scipione Borghese zuvorzukommen. So konnte er endlich Nerina wiedersehen und
ihr von den Ergebnissen seiner Nachforschungen berichten.
Die eineinhalb Tage bis Neapel
wollte er im Schiff zurücklegen, da es schneller und bequemer ging, jetzt, im
Frühsommer, die Küste entlangzufahren, als mit holprigen Ochsenkarren die Via
Appia nach Süden zu nehmen.
Er saß in einer Rolle Ankertau
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