Das Vermaechtnis des Caravaggio
Seite.
Er glaubte einen Moment auf dem Kopf zu stehen. Mühsam rappelte er sich aus der
Taurolle heraus und spähte über die Reling auf der anderen Seite. Ein
Leuchtfeuer schimmerte ihnen über das Wasser entgegen. Sie fuhren in der frühen
Morgendämmerung in den Golf von Neapel ein.
22.
Als Nerina versuchte, ihr Bein zu
bewegen, schrie sie vor Schmerzen auf. Etwas stimmte nicht. Sie erinnerte sich
an den Johanniter, daran, dass er irgendwann das Atelier verlassen und dass sie
sich erschöpft an die Wand gelehnt hatte. Sie befand sich noch immer dort, war
aber offenbar niedergesunken und eingeschlafen. Sie musste lange so gelegen
haben, denn es dämmerte bereits. Jetzt fror sie und wollte ins Bett zurück. Zuvor
musste sie jedoch die Tür schließen. Aber ihr Bein raste vor Schmerzen. Nerina
schleppte sich zur Bettpritsche und zog sich auf. Ihr Bein brannte, und sie
fühlte, wie es im Rhythmus des Herzschlags feurige Stöße in den Körper sandte.
Später konnte sie sich das Bein betrachten,
später nachsehen, was genau fehlte, jetzt musste sie die Tür schließen, und
zwar möglichst von außen. Falls der Johanniter zurückkam, durfte er sie hier
nicht finden. Sie wäre ihm hilflos ausgeliefert, und was er Frauen antat, die
ihm ausgeliefert waren, hatte sie an Lena erfahren.
Sie versuchte zur Tür zu humpeln, musste
sich jedoch an der Wand abstützen, weil ihr auf dem kurzen Stück der Atem
ausging. Sie strich sich über die Stirn. Auch die fühlte sich heiß an und nass.
Sie fieberte.
Ihr Denken verengte sich, so viel
nahm sie wahr. Es kreiste nur noch um zwei Gedanken: Verschwinde aus dem
Atelier und warne Michele!
Langsam schleppte sie sich zur Tür,
die offen stand. Als Sieg wertete sie es, bis dahin nicht geschrien zu haben,
obwohl die Schmerzen im Fuß unerträglich wurden und wie Messerstiche bis in den
Bauch hinein ausstrahlten. Trotzdem zwang sie sich zur Vorsicht. Sie spähte
hinaus auf das Treppenhaus, entdeckte dort niemanden und tastete sich, eng an
der Wand entlang, zur nächsten Treppe. Es fiel ihr immer schwerer, einen klaren
Gedanken zu fassen. Sollte sie die Treppe hinauf oder hinunter gehen? Beide
Richtungen konnten sie in die Arme des Johanniters treiben.
Plötzlich vernahm sie auf der
Treppe Schritte, schleichend, als hätte dort jemand gewartet und sehe jetzt
nach, weil er etwas gehört hatte.
Nerina bemühte sich, flach zu
atmen. Dann humpelte sie so leise sie es vermochte zum Treppenaufgang in den
nächsten Stock. Ihr Keuchen musste in ganz Neapel zu hören sein.
Panik stieg in ihr empor. Sie war der
falschen Idee gefolgt. Soviel stand fest. Wäre sie im Atelier geblieben, hätte
niemand bemerkt, dass sie dort gewesen war. Jetzt wusste es der Johanniter, und
es war für ihn ein Leichtes nachzusehen. Wehren konnte sie sich nicht mehr,
aber sie wollte ihr Leben teuer verkaufen. Sie hörte Schritte näher kommen, sah
aber niemanden, weil es im Aufgang noch zu dunkel war und weil ihr das Pochen
im Bein langsam die klaren Gedanken weghämmerte. Sie nahm einen Schatten wahr,
eine Gestalt, die sich von der Schwärze des Treppenhauses kaum unterschied,
sich aber doch bewegte. Nerina wollte schreien, aber ihrer Kehle entwich kein
Ton. Sie schlug um sich, versuchte, die Hände, die überall waren, abzuwehren,
trat mit den Beinen, auch mit dem schmerzenden, ohne auf ihre Verletzung zu
achten, und es durchfuhr sie plötzlich wie das Brennen der Hölle und warf sie
in eine Schwärze, die dichter war als alles, was sie kannte.
Sie wurde getragen, abgelegt, hatte
das Gefühl wiederzukehren, aus einem Schacht aufzusteigen, gelangte aber nicht
an die Oberfläche. Angst überfiel sie, Angst vor Schmerzen, vor Schlägen, die
sie erwartete. Sie beruhigte sich erst, als eine Hand, eine sanfte, kühle Hand
ihr über die Haare strich, leicht und regelmäßig. Sie sank auf ein Bett zurück und
schwebte. Sie sah Licht am Ende eines Schachts und fühlte die Hand wieder, die
sie leitete.
Nur langsam ließ die Schwärze sie
los. Was war geschehen? Nur undeutlich drang die Erinnerung in ihr Bewusstsein,
dass der Johanniter das Atelier besucht und das ‚Haupt des Johannes‘ zerstört
hatte. Wo war Michele? Sie musste Michele warnen!
Sie hob den Kopf und wollte ihr
Bein bewegen, aber der Schmerz durchfuhr sie wie eine Verbrühung und warf sie
zurück aufs Lager. Sie fühlte sich schwer atmen, fühlte ihr Herz rasen und den
Schweiß an ihren Händen. Dann verwirrte sich ihr Bewusstsein erneut. Als wäre
sie
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