Das Vermaechtnis des Caravaggio
knurrte
leise. Nerina hob den Finger an den Mund und zischte ihn an.
„Still, Nero! Hilf
mir. Ruhig.“
Der Hund beruhigte sich, verstärkte
aber das Wedeln mit dem Schwanz. Hart schlug dieser auf die Dielen. In diesem
Augenblick verfluchte sie das Tier und seine Anhänglichkeit. Außerdem wurde ihr
bewusst, warum Nero so gepflegt gewesen war, als er Michele in Rom zulief.
Schon damals war sie sich sicher gewesen, dass das Tier nicht streunte und
davongelaufen war. Jemand hatte es zielsicher zu Michele geschickt. Und
derjenige stand jetzt im anderen Raum des Ateliers.
Behutsam schlüpfte sie hinter die
Staffelei mit dem ‘Haupt des Johannes’, drückte eine der beiden Jalousietüren
weiter auf und trat hinaus. Der Balkon bestand eigentlich nur aus einem
fußbreiten Vorsprung, der von einem Metallgitter abgeschirmt war. Dort konnte
man gerade nassgeschwitzte Bettwäsche lüften oder feuchte Tücher aufhängen, die
dann vom Abendwind getrocknet wurden und das Zimmer angenehm kühlten, aber kaum
stehen. Gitter und Vorsprung liefen etwas über die Fensterbreite hinaus. Sie
drückte sich in eine der Ecken, zog ihr Hemd enger, damit es nicht in die
Fensteröffnung wehte und so gesehen wurde, und verharrte regungslos.
Im Atelier rührte sich nichts. Sie wagte
kaum zu atmen aus Furcht, man könnte sie drinnen hören. Vermutlich lauschte der
Eindringling innen ebenso auf Geräusche wie sie draußen. Plötzlich bewegte sich
die Jalousietür auf dem Nebenbalkon langsam. Jemand öffnete sie nach innen, um
Licht in Micheles Atelier fallen zu lassen. Sie wusste nicht recht, ob sie
wieder zurückschlüpfen sollte, denn in ihrem hellen Leinenhemd musste sie
sofort sichtbar sein, wenn ein Kopf in der Fensteröffnung erschien, aber ihre
Beine ließen sich nicht bewegen. Wie erstarrt stand sie da und presste die
Zähne aufeinander. Doch niemand schob seinen Kopf heraus. Nur ein Wühlen,
unterdrückt und verhalten, drang zu ihr, als würde der Fremde nach etwas
suchen. In diesem Raum würde er es nicht finden. Für einen Augenblick überlegte
sie sich, ob sie nicht auf die Brüstung steigen und zu Michele hinüberklettern
sollte, um von dort aus schnell durch das Zimmer ins Treppenhaus zu
verschwinden, aber dann fiel ihr Nero ein. Der Hund würde ihr nachlaufen, sie
finden und stellen. Zudem genügte ein Blick nach unten in die Schwärze der
Gassentiefe, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen.
Das Schlagen von Neros Schwanz
drang jetzt überdeutlich zu ihr hinaus, und plötzlich hörte sie ein kurzes
Aufheulen, laut genug, um bis zu ihr nach draußen zu dringen. Offensichtlich
hatte jemand die Tür zu Nero aufgestoßen und schlich jetzt in ihr Zimmer. Eine
unverständliche Stimme wies Nero zurecht, der sich sofort beruhigte. Gerade
diese Stimme aber ließ ihre Knie weich werden. Mühsam zwang sie sich, stillzustehen.
Im Nebenraum stand der Johanniter.
Nerina schloss die Augen. Sie
wollte das, was jetzt geschehen musste, nicht sehen. Sie erwartete, dass der
Johanniter auf den Balkon heraustreten, sie am Arm packen und ins Zimmer zerren
würde. Ihre Stimme versagte. Unfähig zu schreien, unfähig sich zu bewegen,
verharrte sie einfach, wo sie war, und dachte daran, dass sie Michele nicht
nach Neapel hätte führen, dass sie Michele nirgendwohin hätte bringen sollen. Sie
hätte ihn auch alleine lassen können. Nicht mit ihm gehen, ihn nicht pflegen
müssen. Warum auch? War sie in ihn verliebt? Nein. Hielt sie eine Verpflichtung
an ihn gefesselt? Nein. Hatte er sie als Sklavin gekauft? Nein. Warum um alles
in der Welt führte sie ihm den Haushalt? Warum nahm sie die Sticheleien der
Bäcker und Fleischer, der Gemüsehändler und Mitbewohner hin, die sie alle für
Micheles Bettschatz hielten und sich in Gedanken und hinter ihrem Rücken
ausmalten, was er die Nächte über mit ihr trieb, wenn die Fensteröffnungen
verschlossen waren und Kerzenlicht durch die Ritzen der Jalousien drang. Warum
ließ sie sich von seinem Ruf als Hurenbock und Säufer nicht abstoßen?
Unwillkürlich griff sie nach ihrem Amulett und hielt sich daran fest.
Ein reißendes Geräusch ließ sie
zusammenfahren. Beinahe hätte sie ihre Hand an den Mund gehoben. Der helle Arm
wäre in der Fensteröffnung sicherlich aufgefallen. Warum nur schien der Mond?
Konnte er nicht einmal wegbleiben, wenn man ihn nicht benötigte?
Sie wagte nicht den Blick nach
links zu wenden, sah aber im Augenwinkel die Spitze eines Degens auf den Balkon
hinausragen. Geräusch und
Weitere Kostenlose Bücher