Das Vermaechtnis des Caravaggio
Bett,
langte ihr unter den Hals, hob sie auf, zerrte ein Kissen unter ihren Rücken, sodass
sie hochgelagert zu liegen kam. Dann stieg ihr der Duft von Suppe in die Nase.
Ihre Lippen berührte ein Löffel. Gierig schlürfte sie die Flüssigkeit in sich
hinein. Jetzt erst fühlte sie, wie der Hunger in ihr wühlte.
Als sie die Augen öffnete, sah sie
in ein Gesicht, das sie nicht erwartet hatte.
„Enrico! Ihr?“, flüsterte sie
krächzend.
„Ich hoffe doch.“
„Wie kommt Ihr hierher?“
Sie wusste nicht, ob sie sich
freuen oder ärgern sollte. Zuerst ließ er beinahe ein halbes Jahr nichts von
sich hören, und plötzlich tauchte er wie aus dem Nichts auf. Ihre Stimme
gewöhnte sich langsam daran, wieder Wörter und Sätze zu sprechen.
„Wie habt Ihr mich gefunden?“
„Ich hatte tagelang nach Euch
gesucht. Gefunden habe ich Michele, in einer Weinschenke. Er hat das Atelier
aufgegeben, weil der Johanniter das Bild zerstört hat.“
Plötzlich fühlte sie sich schwach
und müde.
„Wo bin ich?“
„In einer der Bassi gegenüber.
Micheles Einfall. Draußen arbeiten Francesco und Cesare. Ihr habt drei Wochen
im Fieberwahn gelegen und seid nur gelegentlich aufgewacht. Wir dachten schon
...“
„Wir?“
„Ja, Michele ist erst vor sieben
Tagen aus Neapel weg. Da ging es Euch schon besser.“
Nerina schloss die Augen. Ihr
ganzer Körper fühlte sich zwar an, als wäre er zerschlagen worden, aber ihr
Verstand arbeitete langsam wieder so schnell und klar wie zuvor. Michele hatte
sie in eine der Erdgeschosswohnungen in ihrer Straße gebracht. Warum? Um sie
vor dem Johanniter zu schützen? Vermutlich.
„Wer hat den Fuß verbunden?
Michele?“
Ein verständnisvolles Lächeln
huschte über Enricos Gesicht, aber solgleich wurde er wieder ernst.
„Den Fuß versorgt und die Wunde
gesäubert hat Michele, obwohl Ihr Euch gewehrt habt, als wollte er Euch Gewalt
antun. Zwei Wochen danach zeigte er mir noch blaue Flecke. Dann seid Ihr in
eine Bewusstlosigkeit gefallen, von der wir beide glaubten, Ihr würdet nicht
wieder daraus erwachen. Aber Eure Natur scheint unverwüstlich zu sein. Ihr habt
geglüht wie ein Kerzendocht. Oft mussten wir alle fünf Minuten die Körperwickel
wechseln.“
„Dann wart Ihr es also, der mich
ausgezogen hat?“
„Michele und ich. Verzeiht, aber
hätten wir Euch sterben lassen sollen?“
Nerina öffnete die Augen und sah
Enrico an. Seine Sorgen schienen ernst zu sein. Sie biss sich auf die Lippen,
ließ ihn aber nicht aus den Augen.
„Warum habt Ihr Euch nicht um eine
weibliche Pflegerin bemüht?“
In ihrer Stimme ließ sie Ärger
mitschwingen. Verlegen senkte er den Blick.
„Wir hatten es überlegt, aber es
schien uns zu gefährlich. Je mehr gewusst hätten, wo Michele und Ihr seid,
desto schwieriger wäre es gewesen, den Ort geheim zu halten.“
Natürlich. Darauf hätte sie selbst
auch kommen können. Ihre Verärgerung, die so bedeutend nicht gewesen war,
verflog. Nein, sie konnte ihm nicht böse sein, sie gepflegt zu haben. Dass er
dabei ihren Körper gesehen hatte, wie ihn zuvor noch kein Mann entdecken
durfte, war unvermeidlich. Unwillkürlich griff sie nach ihrem Amulett und fand
es warm und glatt zwischen ihren Brüsten liegen.
„Danke“, flüsterte sie.
Enrico nickte nur und deutete auf
das Laken, das über ihr ausgebreitet lag.
„Es muss gewechselt werden. Ihr
seid aber zu schwach dazu, es allein zu tun. Schließt die Augen und denkt
einfach nicht daran, dass ich Euch sehen könnte. Ich schaue selbst weg. Ganz
sicher.“
Er breitete das frische Laken über
ihr aus und zog das gebrauchte darunter weg.
„Warum riecht es hier nach Leinöl?
Hat Michele gemalt?“
„Das Haupt des Johannes! Weil der
Johanniter es zerstört hat, hat Michele es neu gemalt. Er bat mich, es für ihn
mit nach Rom zu nehmen, ich werde es aber vorerst hier in Neapel lassen. Sicher
ist sicher.“
Natürlich, Michele wollte eine
Lebensversicherung, und die hatte er sich mit dem Bild verschafft. Da es
zerstört worden war, musste es schnell neu gemalt werden.
„Wohin ist Michele gegangen? Hat er
es Euch gesagt?“
Enrico nickte, während er wieder
die Schale aufnahm, um ihr den Rest der Suppe einzuflößen. Er bot Nerina einen
Löffel Suppe an, und sie schlürfte sie gierig.
„Er ist nach Malta!“
Nerina verschluckte sich an der
Suppe und hustete und spuckte, dass es ihr beinahe schwarz wurde vor Augen.
Solchen Anstrengungen war sie offensichtlich noch nicht
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