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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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in einen Ballen Schafwolle eingeschnürt, erfühlte sie die Umgebung, ohne
sie richtig wahrnehmen zu können, sie hörte, ohne zu verstehen, sie sah, ohne
zu erkennen. Sie glaubte, es gebe ein Auf und Ab, als würde sie Treppen hinauf-
und hinuntergetragen, es gebe ein Hell und Dunkel, ein Hiersein und Wegsein.
    Männerhände fühlte sie, die sie
trugen, die sie auf ein Lager betteten und die sich an ihrem Bein zu schaffen
machten. Wieder griff die Panik nach ihr, als jemand ihren Rock hochschob und
eine Hand auf den Oberschenkel legte. Sie kreischte, schlug, stieß, und
versuchte sich zu wehren, zu befreien, aber Männerarme und Männerhände hielten
sie wie in einem Schraubstock fest und es gelang ihr nicht, sich loszureißen.
Dann fuhr ein Brennen in sie, dass sie glaubte, es mit dem Höllenfeuer selbst
zu tun zu haben, und wieder schlug die Schwärze des Schmerzes über ihr zusammen
wie eine Welle.
    Jemand stand neben ihrem Bett,
sprach mit ihr, legte seine Hand auf ihre Stirn, wusch sie. Ein Mann. Ihr war
kalt. Mit einem Arm fühlte sie ihren Körper entlang, fühlte, dass sie nackt
war. Man hatte sie entkleidet. Ihre Unterlippe zitterte. Sie wehrte sich,
plötzlich, mit eruptiver Gewalt, wollte nicht von einem Mann ausgezogen und
gesäubert werden. Sie fühlte nasse Lappen auf ihren Beinen, fühlte ein Brennen,
das vom Fuß hochkroch über ihre Leiste bis hinauf ins Herz, als würde ihr Bein
ausgebrannt, als läge es in einem der Straßengrills. Sie fühlte, wie nasse
Laken um ihren Leib gelegt wurden, fühlte ein Glühen, als ließe man sie bei
größter Mittagshitze am Strand liegen und die Sonne verbrenne sie und die Haut
werfe Blasen. Raue Hände strichen ihren Körper entlang, Männerhände. Sie wollte
diese Männerhände nicht auf ihrem Bauch, auf ihrer Brust, auf ihrem Schoß.
    Stimmen verwandelten sich in
Melodien, in ein Brummen und Summen, schwankten zwischen Kreischen und Flöten.
Nerina versuchte zu antworten, versuchte zu reden und vernahm ein Stammeln, ein
Wispern einzelner Silben. Dann vernahm sie einen Ton, der sich steigerte, je
dunkler es um sie wurde, der hinaufstieg in höchste Höhen, der in ihrem Kopf
bohrte und schnitt, plötzlich abbrach und einer absoluten Stille Platz machte,
die inmitten einer grenzenlosen Dunkelheit lag.
    Als sie die Augen aufschlug, sah
sie deutlich eine Decke über sich, ein nasses Laken, das über ihrem
augenscheinlich nackten Körper ausgebreitet war, eine hölzerne Wand, hinter der
ein Fenster liegen musste, da über sie hinweg Licht in ihre Schlafnische
sickerte. Der Raum wirkte abgedunkelt und war trocken. Sie wollte sich
aufrichten, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sie fühlte sich so schwach, dass
sie nicht einmal mehr die Hand heben konnte.
    „Dem Herrn sei Dank, Ihr lebt,
Nerina!“
    Die Stimme klang vertraut, obwohl
Nerina sie mit niemandem sofort in Verbindung bringen konnte. Sie drehte den
Kopf. Der Raum war kleiner als ihr Atelier. Hinter ihrem Kopf lag eine Öffnung,
die eine Art Teppich verdeckte und durch die jemand hindurchtrat.
    Sie versuchte zu antworten, aber
ihrem Mund entkam nur ein Krächzen. Kaum dass sie selbst erkannte, was sie
sagte. Ihre Stimme klang, als wäre sie lange nicht mehr gebraucht worden.
    „Was ist geschehen?“
    „Ihr habt Euch an einem Nagel
verletzt, Euch eine Vergiftung des Blutes zugezogen. Seit gut drei Wochen sitze
ich hier und versuche, Euch ins Leben zurückzuholen.“
    Es dauerte etwas, bis Nerina
begriff, was ihr der Unbekannte mitgeteilt hatte. Drei Wochen hatte sie
gelegen, weil sie in einen Nagel getreten war!
    „Wo bin ich in den Nagel getreten?“
    „Wenn ich recht verstanden habe,
was Ihr im Fieber gesprochen habt, dann habt Ihr Euch verletzt, als Ihr vom
Balkon ins Atelier zurückgegangen seid. Michele hat Euch gefunden, den Nagel
entfernt und Euch hierher gebracht.“
    Michele! Jetzt fiel es ihr wieder
ein. Sie musste ihn warnen. Mit letzter Kraft versuchte sie, sich aufzurichten,
was ihr unter vielem Mühen gelang.
    „Der Johanniter ...“
    „Wir wissen es. Michele ist längst
nicht mehr in Neapel.“
    Michele hielt sich nicht mehr in
Neapel auf? Ihr träger Gedankenfluss störte sie. Wo war er dann? Sie ließ sich
auf das Bett zurückfallen und schloss die Augen. Sie roch Leinöl und den
scharfen Duft getrockneten Eigelbs, das zum Anmischen und Binden der Pigmente
diente. Hier wurde gemalt. Demnach musste sie im Atelier sein, aber sie
erkannte es nicht als solches.
    Jemand setzte sich an Ihr

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