Das Vermaechtnis des Caravaggio
würde erst verstummen, wenn der Papst selber eine
Begnadigung ausspricht. Die Instanz, die begnadigt, kann schlecht die Instanz
sein, die ihn aus der Stadt getrieben hat.“
Ruhig hatte Camillo Borghese
zugehört. Nur der Umstand, dass er sich mit beiden Händen an der Tischplatte
festhielt, ließ etwas von dem Ungeheuerlichen vermuten, das hier auf ihn
einstürmte. Die Ideen mussten wie Ohrfeigen auf den Wangen glühen, und nie
hätte Scipione sie auch nur zu denken gewagt, wenn er nicht der Neffe des
Papstes gewesen wäre.
„Wisst Ihr, was Ihr das sagt? Wisst
Ihr das wirklich, Scipione?“
Im Saal klang die Stimme seines
Oheims leise und dünn.
„Caravaggios Begnadigung und Wiedereinführung
in Rom würde Euch unsterblich machen.“
Noch immer flüsterte der Papst, als
würde die Last dieser Entscheidung die Stimmbänder lähmen: „Den jungen Gonzaga
in den Kardinalsstand zu berufen mag noch angehen. Aber nie und nimmer wird
dieser Caravaggio wieder die Mauern Roms überschreiten. Nicht solange ich lebe.
Mühsam zwinge ich die Kirche wieder in ein Bett, das die einzelnen Richtungen
vereinigt und einen mächtigen Strom aus kleinen und kleinsten Rinnsalen
gebiert. Da soll ein Quertreiber wie dieser Caravaggio seine ketzerischen
Bilder in Rom verbreiten dürfen und dafür auch noch gelobt und finanziell
unterstützt werden. Von meiner Kirche, die seine Werke ablehnt? Niemals! Es
wird keine Begnadigung Caravaggios geben!“
Zufrieden rieb sich Scipione
Borghese mit den Fingerspitzen die Handinnenflächen. Ein erster Sieg war
errungen. Wenn der junge Gonzaga zur Kardinalswürde erhoben wurde, besaß er
einen Mitstreiter mehr. Die Rückkehr Caravaggios nach Rom blieb nur eine Frage
der Zeit.
24.
Von ihrem Bett aus beobachtete sie
Enrico, wie er mit einem Strohbesen den kleinen Raum des Bassi auskehrte, eine Sisyphusarbeit,
denn der stetige Seewind wirbelte in einem fort Staub auf der Gasse auf und
verteilte ihn in den Ladenräumen, die nicht abzuschließen waren. Seine
Bewegungen glichen denen eines Katers, der sich seiner selbst sehr bewusst ist.
Wohlbedacht und kräftig, mit einem eleganten Zusammenspiel von Ober- und
Unterkörper, ruhig und sicher. Am liebsten hätte sie geschnurrt wie eine Katze,
um ihn auf sich aufmerksam zu machen, aber das schickte sich nicht.
Sie saß jetzt aufrecht, schlüpfte
für kurze Zeit aus dem Bett und ging auf und ab. Noch eine Woche und sie würde
wieder die alte sein. Jetzt, da Michele weg war, schlief sie auch in den
Nächten wieder ruhig durch. Sie genoss diese Ruhe, dieses Sich-treiben-lassen
und in den Tag-hinein-schlafen. Nur für Stunden erwachte sie, um zu essen, zu
trinken, ihre Bedürfnisse zu vollrichten, und ansonsten ließ sie sich von der
angenehmen Stimme Enricos verwöhnen, der ihr aus Virgils ‚Aenaeis‘ vorlas, oder
von seinen kräftigen Händen streicheln, mit denen er ihr den Rücken und das
Bein massierte. So hätte sie Wochen verbringen können. Hatte er ihr nicht
erzählt, dass er in seinem Klosterkonvent etwas über Heilkunst und
Krankenpflege gelernt hatte, bevor er es verließ, um nach Bologna zum Studium
zu gehen und dort die Rechte zu studieren? Jetzt kam ihr das zugute. Erst als
Enrico sie kurz am Arm berührte, bemerkte sie, dass sie blicklos ins Nichts
gestarrt hatte.
„Woran habt Ihr gedacht?“
Seine Augen lächelten, und nicht
zum ersten Mal fühlte Nerina, wie sich eine Wärme in ihrem Bauch ausbreitete,
wenn er sie so ansah. Sie fühlte selbst, wie ihre Stimme tiefer ansetzte, als
sie antwortete.
„An Euch, Enrico!“
„Ich hoffe, nur das Beste!“
Sie nickte.
„Nur das Allerbeste.“
Seine Hand legte sich wie zufällig
auf ihren Arm, und sie zuckte zurück, als wäre sie von einem Schlag getroffen
worden. Sofort ließ Enrico los, aber sie nahm seine Hand und führte sie zurück,
ja ließ sie immer noch umfasst und zog sie an den Mund, um die Fingerspitzen zu
küssen. Enrico ließ es geschehen.
„Warum tut Ihr das, Enrico? Ihr habt
keinen Grund hierzubleiben.“
Mit den Fingerspitzen strich Enrico
jetzt über ihre Wangen, und sie fühlte, wie jedes einzelne Härchen darauf zu
zittern begann. Es war ein Feuerwerk aus Funken, das sich auf ihrer Haut
entlud. Lange sah sie ihm in die Augen, bis er den Blick auf ihren Schoß
senkte.
„Weil ich Euch gern um mich habe.“
Nerina lachte verhalten, um ihre Verlegenheit
zu verbergen.
„Außer dem Wechseln der Bettwäsche
und der Beschaffung des Essens für mich habt Ihr nicht
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