Das Vermaechtnis des Caravaggio
treffen?“
Abrupt blieb Fra Domenico stehen
und legte den Kopf schief, als müsse er nachdenken. Seine Lippen presste er dabei
zu einem feinen Strich zusammen. Er lehnte sich gegen eine der Säulen, die
nicht abgedeckt war.
„Was Ihr zu wissen glaubt.“
„Oh, wart nicht Ihr es, der Michele
unter seinem Pferd begrub und so schwer verletzte, dass er über Wochen ein
Krankenhaus aufsuchen musste?“
„Erstaunlich. Wer beliefert Euch
mit diesem angeblichen Wissen?“
„Erwartet Ihr im Ernst, dass ich
Euch antworte?“
Mit einem Ruck setzte er sich
wieder in Bewegung. In Nerina stieg dieses eigenartige Gefühl auf, das sie
häufig im Traum befiel, wenn sie sich in einer ausweglosen Situation befand,
ohne sich aus dieser befreien zu können. Erst wenn sie resigniert und die
Unausweichlichkeit des Geschehens hingenommen hatte, verschwanden Wirrnis und
Angst aus dem Kopf, und zurück blieb ein messerscharfes, klares Denken. Sie
glaubte bereits den Griff von Fra Domenicos Händen zu fühlen. Sie roch dessen
Atem, dessen schweißdurchtränkte Kleidung, der ein penetranter Geruch von
Weihrauch entströmte.
Von der Sakristei her schwoll ein
Chor von Stimmen an, zuerst kaum zu vernehmen, eher ein Wispern als ein konkretes
Gespräch. Die Turmglocke schlug. Sofort ahnte Nerina ihre Chance. Die
Handwerker kamen von ihrer Pause zurück an die Arbeitsstätten. Jetzt galt es,
Zeit zu gewinnen, vor allem, weil der Johanniter die Gruppe offenbar noch nicht
gehört hatte.
„Was hat Euch Michele getan, dass
Ihr ihn verfolgt und nach dem Leben trachtet?“
Der Johanniter stutzte kurz und sah
empor zu den verhängten Fresken am Himmel der Kirche, als müsse er sich an
dieses Ereignis erst wieder erinnern, weil es zu lange zurücklag.
„Er hat Euch nichts erzählt?“
„Was sollte er mir erzählen?“
„Nichts von seinem Mord?“
„Mord? Er hat Ranuccio Tomassoni
nicht umgebracht. Das wisst Ihr ebenso gut wie ich!“
Still wurde es plötzlich in der
Kirche, still und kühl, als wehe ein Wind durch das Gewölbe. Sicherlich
öffneten die Handwerker eben eine der Türen zur Sakristei.
„Ich spreche nicht von diesem
Säufer aus Terni, ich spreche ...“
Ein Kopfrucken zeigte ihr, dass er
die Stimmen der Männer vernommen hatte, die jetzt die Sakristei betraten,
lautstark und polternd.
„Einer Malschülerin muss man keine
Lebensbeichte ablegen“, entgegnete Nerina, um vom Lärm der Handwerker
abzulenken.
„Malschülerin?“ Wieder lachte Fra
Domenico, unbändig war es diesmal, als könne seine Fantasie und der Sinn ihres
Satzes nur mit Gewalt zusammengezwungen werden. „Ich dachte, man spricht sich
aus, während der Pinsel geschwungen wird.“
Nerina fühlte, wie ihr das Blut ins
Gesicht schoss. Für dieses Lachen, für diese Zote hasste sie ihn.
„Eure Gesellschaft ist mir
widerwärtig, Fra Domenico.“
Zu spät erkannte der Johanniter, dass
Nerina bis zur Tür der Sakristei zurückgewichen war. Jetzt öffnete sich diese
und ein Dutzend Männer betrat den Raum. Sie stutzten zuerst, als sie die beiden
Fremden so verdächtig nahe zusammenstehen sahen, dann aber fiel ihr Blick auf
das weiße Zipfelkreuz des Johanniters, das auf der Kutte Fra Domenicos
aufgestickt war.
„Er hat meinen Bruder getötet, und
dafür wird er sterben!“, zischte Fra Domenico. Zuerst glaubte sie, nicht
richtig gehört zu haben, aber in seinen Augen lag ein nur schwer bezwungener Hass.
Nerina wandte sich mit einem Ruck
zu den Handwerkern um, Stuckateure und Vergolder wie sie vermutet hatte und wie
sie unschwer an den weiß vergipsten und leicht goldfarbenen Händen der Männer
erkennen und unterscheiden konnte.
„Eine schöne Kirche, Signori, ein
Prachtstück. Wer lässt mich hinter die Leinenvorhänge sehen?“
Sofort wurde sie von den Männern
umringt, die Fra Domenico abdrängten. Nerina sah noch das vor Wut verzerrte
Gesicht des Johanniters, dann ging sie auf die Höflichkeiten der Männer ein.
Sie lobte fachkundig hier ein Detail, dort den Farbton oder den Strich, zeigte
sich als Kenner und wurde so immer näher zum Ausgang geleitet. Zur Überraschung
der Handwerker, verabschiedete sie sich unerwartet, zog das Portal auf und
schlüpfte nach draußen. Eilig schritt sie aus, versuchte, sich im größten
Gewimmel der Straße zu verbergen. Erst als sie den Hauptplatz vor der
Kathedrale erreicht hatte, schlüpfte sie zwischen zwei Verkaufsstände, eine Mauer
im Rücken, und beobachtete das Treiben, immer auf der Hut vor dem
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