Das Vermaechtnis des Caravaggio
Männer
stehen und besprach sich mit ihm. Hätte dieser nicht einen Wimpernschlag lang
zu ihr hergeblickt, wäre ihr das Gespräch unverdächtig geblieben. So lief ihr
trotz der Hitze ein eisiger Schauer über die Arme und den Nacken entlang.
Langsam wandte sie sich ab, um
möglichst unverdächtig ihr weniges Gepäck aus der notdürftig wieder
zurechtgezimmerten Unterkunft auf Deck zu holen. Hatte er sie durchschaut oder
wollte er nur seine Neugierde befriedigen, einen Verdacht bestätigt wissen? Dem
Zöllner durfte sie nicht über den Weg laufen. Sie musste ihn vermeiden, wollte
sie nicht in die Klauen des Johanniters fallen. Vom berüchtigten Kerker Sant’Angelo
in La Valletta hatte sie schon zu viel Schauriges gehört, als dass sie sich
darauf einlassen wollte. Fieberhaft überlegte sie, wie sie eine Kontrolle
vermeiden konnte, bevor sie die Tür zum Verschlag öffnete.
3.
Der Zöllner schenkte ihr kaum einen
Blick, als sie an ihm vorüberschritt. Erwartungsvoll spähte er in Richtung des
Kauffahrers. Nerina wusste, dass er den Jüngling erwartete, den Fra Domenico
ihm bezeichnet hatte. Aber der ließ sich offensichtlich Zeit. So beschwingt,
wie es ihre innere Anspannung ermöglichte, versuchte Nerina die Treppchen zur
Hafenplattform und weiter zur Treppe in die Stadt hinaufzugehen, immer
gewärtig, dass er sie zurückrief, dass er ihre Maskerade entdecken und sie der
Ordensjustiz ausliefern würde. Aber die Täuschung gelang, die ihr anfänglich so
aufdringlich einfach erschienen war, obwohl ihr die steife Hülle des Pakets mit
dem ‘Haupt des Johannes’ zwischen ihren Beinen einen lockeren Gang unmöglich
machte. Sie bewegte sich steif und unsicher. Niemand vermutete in dem Mädchen,
das in einem schwarzen Kleid und mit Schleier die Zöllner passierte, den
gesuchten jungen Mann.
Ohne ihren Schritt stark zu
beschleunigen, folgte Nerina zuerst dem Menschenstrom über die schräge Straße
hinauf in die Stadt und durchschritt alsbald eines der Tore La Vallettas. Auch
dies wieder ungehindert und ohne lästige Fragen beantworten zu müssen. Als Frau
schien man nicht einmal eines Blickes Wert zu sein in dieser Männerwelt, was
Nerina ebenso freute wie ärgerte.
Die mächtigen, aus gelbem Stein
gehauenen Quader des Tordurchgangs beschützten die Stadt nicht nur, sie
gemahnten einen jeden, der unter ihnen hindurch schritt, den Stadtfrieden
einzuhalten, sonst würden sie ihre Gewalt ausspielen und den Schänder der Ruhe
erdrücken.
Unerkannt tauchte sie in den Strom
aus Leibern ein, den dieser Morgen in die Stadt sog. Marktgeschrei erfüllte die
Luft, das Klacken der Hufe auf Stein hallte in den großzügig angelegten Gassen
wider, das Hämmern der Steinmetze brach sich an den Wänden der Gebäude, ein
Raunen und Flüstern, ein unbestimmter Singsang durchdrang die Luft und wob
ebenso an der Atmosphäre wie der beständige Geruch nach Weihrauch und das
Läuten der Glocken. Überall wurde gearbeitet, wuchsen Häuser in die Höhe,
schleppten Steinmetze Quader heran, bauten Zimmerer Gerüste, wurden Balkone
gesetzt und hölzerne Fensterlaibungen eingefügt. Eine Stadt im Aufbau, ein
wachsender, lebender Organismus, der pulste und atmete. Jung war sie, die Stadt
La Valletta, und wehrhaft, immer wachsam ob des nächsten Ansturms der Türken – und
doch schlug zwischen diesem Mauern der Herzschlag des Lebens, vergaß sie sofort,
dass die bereits fertigen prächtigen Paläste nur Tünche waren angesichts der
allgegenwärtigen Bedrohungen, die über Malta schwebten.
Den ersten Schritt getan, die erste
Klippe umschifft, überlegte Nerina bereits weiter. Sie musste sich umziehen.
Als Frau allein würde sie nirgends Quartier finden. In eine der Herbergen der
Nationen zu gehen, wagte sie nicht. Und wie sie die Stimmung in der
Ordenshochburg einschätzte, würden die Fragen einer Frau nach Michele, der hier
sicherlich seinem Ruf als Schürzenjäger und Hurenfreund treu geblieben war, nur
Verwunderung auslösen, aber keine Antworten zur Folge haben.
Irgendwo innerhalb dieser Mauern musste
es eine Möglichkeit geben, sich unauffällig zurückzuverwandeln, die Männerlarve
erneut überzuziehen. Unbekümmert durchwanderte Nerina die Stadt, deren
rechteckiges Netz aus Straßen an eine planvolle Gründungsidee gemahnte, immer
auf der Hut vor Fra Domenico und immer auf der Suche nach einem Platz, einem
Versteck, um sich umzukleiden. Aber weder tauchte die eine Bedrohung auf, noch
die Gelegenheit, ins Männerkostüm zu
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