Das Vermaechtnis des Caravaggio
Gesicht Fra
Domenicos. Den Johanniter entdeckte sie nicht mehr.
Enttäuschung und Furcht ließen ihr
die Knie zittern. Ihr gesamter Plan verfehlte seine Wirkung. Fra Domenico wusste
um ihre Verkleidung. War es da nicht ratsam, sich ihrer ganz zu entledigen und
wieder als Nerina unter die Menschen zu treten? Sie verwarf den Gedanken
sofort. Niemand würde sie aufnehmen, ihr ein Zimmer vermieten, die Herbergen
der Johanniter schon gar nicht. Vielleicht ließ sich in ihrer Maske Michele
leichter entdecken.
Sie musste allerdings auf der Hut sein.
Fra Domenico suchte nach ihr, und seinen Spürsinn und seine Geduld darin hatte
sie bereits kennengelernt. Unzählige Gedanken schossen ihr durch den Kopf und
verdichteten sich zu einem Bild: Michele hatte Fra Domenicos Bruder getötet.
Dafür stand die Blutrache. Sein Blut gegen das Blut Micheles, wenn er sich
nicht bei der Familie des Getöteten freikaufte. Aber dazu brauchte es einen
Vermittler und das Einverständnis der Familie des Toten – und natürlich der
Bereitschaft Micheles. Letztere zu erlangen, erschien ihr unmöglich. Nie würde
Michele nachgeben. Diese Eigenschaft entsprach einfach nicht seinem Charakter.
Sie musste jedenfalls mit ihm reden
– und dafür musste sie ihn zuerst finden, wenn er nicht bereits im Netz der
Ordensspinne hing und alle Rettungsversuche zu spät waren. Wenn Fra Domenico
ihn vor ihr fand, war das sein Todesurteil.
Als ihr Blick eher zufällig wieder
über den Platz wanderte, setzte ihr Herz für einen Moment aus: Am anderen Ende
des Platzes stand Fra Domenico und sah zu ihr herüber.
4.
„Er hat tatsächlich den Befehl gegeben,
ihn zu töten?“
Eingeschüchtert kauerte Romina
Tripepi im Sessel. Ihr eher hilfloser Versuch, ihn mit ihren Reizen zu locken,
dort etwas Bein, hier etwas Busen sehen zu lassen, nahm Scipione Borghese mit
einer gewissen Nachsicht hin. Er mochte die üppige Hetäre seines Oheims nicht.
Seinem Geschmack nach besaß sie zu viel Fleisch und zu wenig Verstand. Aber
Camillo Borghese hielt ihr seit Jahren unverbrüchlich die Treue, wenn auch
heimlich. Sicherlich ahnte keiner der Kardinäle, dass sich der Papst
wöchentlich einmal bei Romina Tripepi erleichterte. Gerade deshalb galt sie ihm
als wichtige Zuträgerin. Sie war sein Trumpf, sein heimliches Ohr am Puls des
päpstlichen Herzens – und sein Oheim ahnte weder, dass er es gewesen war, der
sie ihm zugeführt hatte, noch dass er sie ebenso regelmäßig nach ihren Besuchen
bei ihm aushorchte.
„Wie Ihr mir befohlen hattet, habe
ich danach gefragt. Um des Glaubens willen, habe er dies angeordnet, hat er betont!“
Unglaublich und etwas grotesk fand
Scipione Borghese diese Enthüllung. Sein Oheim, Papst Paul V., als Auftraggeber
der Ermordung Tomassonis, um den Glauben zu festigen, und das alles enthüllt
beim Liebesakt. Wäre Romina Tripepi nicht anwesend gewesen, er hätte laut
aufgelacht.
„Er meinte, es sei ein Zufall
gewesen, dass gerade Tomassoni getötet wurde. Der Stich habe eigentlich Caravaggio
gegolten, aber der sei davongekommen.“
Damit kein Verdacht geschöpft
wurde, damit die Öffentlichkeit in Rom beruhigt werden konnte, musste Tomassoni
da Terni sterben. Scipione Borghese atmete hörbar aus.
„Habt Ihr sonst noch etwas für
mich, Romina?“ Sie zog ihre Beine an den Körper, sodass ihr Gewand hochrutschte
und sich weißliches Oberschenkelfleisch zeigte. Seine Augen wandten sich einem
Spiegel zu, der das Licht von gut fünfzig Kerzen wiedergab.
„Er sagte, denselben Fehler würde
er kein zweites Mal begehen. Jetzt habe er den richtigen Mann gefunden.
Caravaggio sei so gut wie tot!“
Ein Pfiff entfuhr den Lippen
Scipione Borgheses. Also war die Gefahr für Caravaggio noch nicht vorüber. Sein
Oheim hatte dem Maler einen Mörder nachgeschickt. Unruhig lief Scipione
Borghese auf und ab, überlegte. Solange sein Oheim berechenbar blieb, fürchtete
er ihn nicht, aber dazu musste er seine Schliche kennen. Wen also hatte er
geschickt? Warum gab er ihm gegenüber einerseits nach und beteiligte sich an
der Begnadigung Caravaggios, wenn er auf der anderen Seite seinen Mörder
bereits beauftragt hatte?
„Ihr könnt gehen, Romina Tripepi. Wie
immer kein Wort davon an niemanden, an meinen Oheim schon gar nicht. Hier, Euer
Lohn.“
Er warf ihr einen Beutel Münzen in
den Schoß, den sie hastig an sich nahm und dessen Inhalt sie prüfte.
Erleichterung zeichnete sich in ihrem Gesicht ab, als sie ihre Röcke raffte und
aus dem Zimmer eilte.
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