Das Vermaechtnis des Caravaggio
dringen. „Was die
Angelegenheit verschlimmert ist, dass sie sich deshalb nicht ausstehen können,
weil Pater Leonardus sich im Dunstkreis Del Montes bewegte!“
„Ihr meint ...“
„... ja, er liebt Knaben, was man
von Caravaggio nicht in dem Maße sagen kann! Hält es dieser doch eher mit dem
weiblichen Geschlecht – oder eben mit beiden. Deshalb verabscheut der Maler den
Bruder.“
Ferdinando Gonzaga drehte sich abrupt
um. Wie von Geisterhand öffnete sich die Tür vor ihm. Er schlüpfte hindurch und
ließ Scipione Borghese allein zurück. Dieser fühlte, wie sich sein Gesicht
erhitzte, wie in ihm eine Art Fieber aufstieg und langsam ausbreitete, bis es
ihn zu frösteln begann. In Ferdinando Gonzaga hatte er seinen Meister gefunden.
Diesem milchgesichtigen Jungen musste er mit Vorsicht begegnen.
5.
„Caravaggio! Wo finde ich den
Maler?“
Verzweifelt fragte sich Nerina
durch die Trattorias und Osterias der Festung La Valletta. Man musste ihn
kennen, zumindest in den Osterias, zumindest den Säufer und Raufbold. Aber
überall schüttelten die Männer den Kopf.
„Caravaggio? Michelangelo Merisi?
Nein, nie gehört.“
„So ein kleiner Kerl mit Spitzbart?
Davon sitzt täglich ein halbes Dutzend auf den Holzschemeln. Aber kein
Ausländer, kein Maler!“
„Junger Freund. Wenn Ihr einen
Maler sucht, findet Ihr ihn im Großmeisterpalast, aber nicht auf den Straßen La
Vallettas!“
Immer dieselben Ausreden, immer
derselbe misstrauische Blick, dieselben gerunzelten Augenbrauen. Wussten die
Männer wirklich nichts oder wollten sie dem jungen Mann, der ihnen Fragen
stellte, nur nicht antworten, weil man Fremden gegenüber grundsätzlich misstrauisch
blieb? Sie versuchte es unauffälliger, bezahlte Wein, gab eine Runde aus – und
erfuhr nichts.
Erschöpft setzte sie sich an den
Rand eines der Abfallschächte, die leicht mit Brunnenanlagen verwechselt werden
konnten, die aber zur Entsorgung des Mülls dienten und Nerina an Neapel
erinnerten. Hätte sie doch in der Stadt bleiben, Michele nicht nach Malta
folgen sollen?
Langsam stieg Angst in ihr auf, die
Angst, Michele an die Malteser verloren zu haben. Vielleicht saß er bereits im
Kerker von Sant’Angelo und verfaulte bei Ratten und schimmligem Brot.
„Signore? Ihr sucht Caravaggio?“
Ein junger Mann sprach sie an, ein
Kind beinahe, schwere dunkle Haare, darunter tiefliegende Augen. Sechzehn
mochte er sein, womöglich etwas jünger. Sein Blick wirkte aufgeweckt, seine
ganze Haltung verriet Stolz und das Bewusstsein jugendlicher Kraft.
„Ja. Wisst Ihr, wo er sich aufhält,
wo ich ihn finden kann?“
Ohne die Miene zu verziehen,
streckte er seine Hand aus. Nerina sah, dass die Hände gewaschen und reinlich
waren, ganz im Gegensatz zu denen der Gassenlümmel, denen sie sonst in der
Stadt begegnete.
„Woher weiß ich, dass du mich nicht
übers Ohr haust?“
Der Junge zuckte mit den Schultern,
zog seine Hand zurück und drehte sich um, als wolle er weggehen.
„Schon gut!“, rief Nerina ihm nach.
„Zehn Bajocchi jetzt, zehn nachdem du mich zu Caravaggio geführt hast.“
Nach kurzem Zögern nickte der Junge,
kam zurück und streckte wieder die Hand aus. Nerina legte die Münzen hinein.
Ohne sie anzusehen, steckte er sie in seine Gürteltasche.
„Herr, folgt mir!“
Etwas erstaunt lief Nerina hinter
dem Jungen her, der sich einfach wieder umgedreht hatte und sich offensichtlich
nicht darum kümmerte, ob sie ihm folgte oder nicht. Nerina schloss auf und
blickte ihn von der Seite her an.
„Wie heißt du?“
„Matteo, Herr.“
„Matteo also. Woher weißt du,
Matteo, wo sich Caravaggio aufhält?“
„Ich bin Messdiener in der
Kathedrale. Ihr werdet schon sehen!“
Ganz verstand Nerina den
Zusammenhang nicht. Warum sollte gerade ein Ministrant wissen, wo sich Michele
befand? Im Eilschritt führte er sie durch die Gassen der Stadt, vorbei an
unfertigen Stadtpalästen, an Wehrbauten und kleinen Kirchen. Die Fenster der
unteren Geschoße waren allesamt mit bauchigen Gittern verziert und gesichert.
In den oberen Etagen, deren Holzfüllungen die Besitzer schwarz, rot oder grün
bemalen ließen, verbargen Fensterläden den Blick nach innen, oder vorgebaute
hölzerne Erker holten den Bewohnern das Treiben der Straße ins Haus, ohne dass
sie von unten gesehen wurden. Schwere Fensterlaibungen aus Stein zierten die
Gebäude und gliederten die Fassaden. Über manchem Eingangsportal ragten
Wappenbilder bis in den ersten Stock hinauf, in den gelblichen
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