Das Vermaechtnis des Caravaggio
Unterwerfung unter das
Unvermeidbare. Welch eine düstere Prognose. Etwas musste mit Michele geschehen
sein, etwas musste ihm die Seele verdüstert haben.
„Dann könnt Ihr Euch bei unserem
Großmeister melden. Alof de Wignacourt unterstützt ihn nach Kräften.“
„So wisst Ihr, wo Caravaggio sich
aufhält?“
„Natürlich. In den letzten Wochen
hier im Oratorium, um dieses unheilige Werk zu beenden, aber jetzt seltener.“
Nerina nickte verständig. Die Farbe
musste trocknen, bevor sie mit Firnis abgedeckt werden konnte.
„Sonst aber im Großmeisterpalast,
ganz in der Nähe unseres Herrn de Wignacourt. Er hatte ihn bereits in einer
Rüstung gemalt und daraufhin diesen Auftrag erhalten. Aber unbenommen Eurer
Ausführungen, bleibt mir das Gemälde von zu viel Welt durchdrungen. Es fehlt
ihm die religiöse Erhabenheit.“
„Damit dürftet Ihr recht haben“,
entgegnete Nerina, die fieberhaft überlegte, wie sie es anstellen konnte, in
den Großmeisterpalast zu gelangen. „Könntet Ihr mich bei Alof de Wignacourt
melden?“
Während sie diesen Satz noch sagte,
wusste sie, dass es ein Fehler gewesen war. Bittsteller unterlagen einer
besonderen Prüfung. Audienzen wurden wie im Vatikan nur gewährt, wenn die
Person sich als harmlos oder politisch bedeutend erwies. Plötzlich begann der
Johanniter sie forschend zu mustern, und eine Art Wiedererkennen zuckte in
seinen Augen auf. Und auch in Nerina keimte das Bewusstsein ihrer ersten
Begegnung. Er war der Zöllner, der sie am Hafen hatte abpassen wollen, darin
bestand für sie kein Zweifel mehr. Die Stadt war klein, der Zufall ihrer Wiederbegegnung
also nicht allzu groß.
„Seid Ihr schon lange in La
Valletta?“
„Einige Tage. Warum fragt Ihr?“
„Nur so. Wartet einen Augenblick.
Ich will nur eben nachfragen. Bestimmt kann ich Euch unter die Arme greifen und
ein Gespräch vermitteln.“
Der Priester lächelte verbindlich,
verbeugte sich und verschwand durch einen Nebenausgang, der vermutlich in die
Sakristei führte. Sobald er außer Sicht war, hastete Nerina zum Ausgang der
Kathedrale, hinaus in die gleißende Helligkeit des Tages, über den Platz weg
und hinein in eine der Straßenschluchten. Jetzt wusste sie, wo Michele zu
finden war – und dass ganz La Valletta bald hinter ihr her sein würde.
6.
„Was verschlägt Euch wieder in
diese Gegend, Enrico? Ihr seid doch Enrico?“
„Derselbe, Meister Peterzano!“
Hustend betrat Enrico die Bottega
Peterzanos in der Nähe der Porta Orientale, im Viertel von Santa Babila in
Mailand, dessen staubige Luft ihn sofort reizte. Seit Jahren hatte niemand mehr
den Boden gefegt oder die Wände und Regale gewischt. Der Staub lag fingerdick auf
den unbenutzten Möbelstücken, den Bilderrahmen und Leinwänden. Nichts hatte
sich verändert, mit Ausnahme Peterzanos selbst. Seit sie sich das letzte Mal
gesehen hatten, war der Maler spürbar gealtert. Mit ausgestrecktem Arm ging
Enrico auf den Bergamasker Meister zu. Zwei Jahre lag ihr letztes Treffen
zurück. Noch kleiner wirkte er seit damals, beinahe zerbrechlich jetzt, als
könne eine unvorsichtige Bewegung sein Leben auslöschen, es hinweg wehen wie
den Staub von den Regalböden, nur weil sich die Tür zu heftig öffnete. Wenn
Peterzano ihn ansah, musste dieser die Augen zusammenkneifen. Offenbar die
Folge einer Sehschwäche, die sich in letzter Zeit verstärkt hatte. Damals war
sie Enrico zumindest nicht so aufgefallen. Der Mund des Malers wirkte
eingefallen. Die letzten Zähne, von denen ohnehin nicht mehr viele seine Lippen
in Form gehalten hatten, waren ihm gänzlich ausgefallen. Jetzt schob sich die
Unterlippe über die obere, und feine Speichelfäden wurden an den Mundwinkeln
nach außen gepresst. Ein eigenartig sabberndes Geräusch entstand beim Reden.
Das allerdings gelang dem Maler noch ebenso vortrefflich wie die Jahre zuvor. Die
Situation erinnerte Enrico an den Priester, der ihm seine Ausbildung ermöglicht
hatte und der auch am Ende seiner Jahre in sich zusammenzufallen schien,
während der Geist noch arbeitete, präzise und fehlerlos, obwohl ihn kaum mehr
jemand verstand.
„Seid ihr hier, um Bilder für Euern
Herrn aufzukaufen, was ich nicht recht glauben mag. Ein Gonzaga gibt sich nicht
ab mit einem Simone Peterzano. Also wollt Ihr etwas über Michele Merisi wissen.
Habe ich recht? Aber setzt Euch, setzt Euch. Ihr werdet hungrig sein. Magdala!
Sie ist die Hilfe meiner alten Tage, müsst Ihr wissen, Enrico. Mein Weib ist
gestorben, kurz nachdem
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