Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
Vom Netzwerk:
sofort
schnürte sich ihre Kehle zusammen. Die Familiengeschichte der Anomeritis verblasste,
und an deren Stelle trat die Sorge um Michele. Der saß seit einigen Wochen hinter
den meterstarken Mauern des Forts ein, und noch hatte sie keine Nachricht
erhalten, ob er überhaupt noch lebte.
    Fra Domenico hatte den Streit vom
Zaun gebrochen, direkt vor dem Großmeisterpalast, weil er offenbar gewusst
hatte, dass Michele, trotz Verbots, immer eine Waffe bei sich trug. Einen
Schmierfinken, einen Blender und Hochstapler hatte er ihn genannt, der dem
Großmeister mit billigen Taschenspielertricks das Geld aus der Tasche ziehe.
Außerdem sei er ein Ketzer, wenn man das unchristliche Gekleckse betrachte. In
Michele war sichtbar die Wut aufgestiegen. Damals hätte sie gern eingegriffen,
hätte sie ihn gern von dem Johanniter weggezogen, hätte den ruhig weiter lästern
lassen, aber die Provokation war sorgfältig geplant gewesen. Ein ganzer Trupp
von Novizen war auf dem Platz unterwegs gewesen, und ihm Nu hatte sich um die
beiden Streithähne ein Kreis gebildet. Als Michele den Degen zog, war es
plötzlich still geworden im Rund, und schließlich hatten einige Mutige Michele überwältigt
und ihm die Waffe entrissen.
    Jeder wusste, dass er damit gegen
die Ordensregeln verstoßen hatte, vor allem deshalb, weil er keine zwei Wochen
zuvor zum Ritter geschlagen worden war. Michele hatte getobt, gebissen,
geschrien, war aber gebunden und nach Sant’Angelo hinübergebracht worden. Ob er
je einen vernünftigen Prozess erhalten, vor ein Ordensgericht gestellt werden
würde, stand in den Sternen, von denen jetzt einige wenige noch hartnäckig am
Firmament leuchteten.
    Nerina seufzte und stand dann ganz
auf, um Milena zur Hand zu gehen. Die Kinder neben ihr rührten sich zwar,
drehten sich jedoch um und schliefen weiter, die Hände unter die Lockenköpfe
geschoben, die Gesichter zerknautscht und mit roten Schlafstriemen bedeckt.
    Sie hatte am Wegrand gestanden und
den Karren beobachtet, mit dem er aus La Valletta hinaus und aufs Boot zur
anderen Landzunge hinüber gebracht worden war. Einen kurzen Moment hatte sie in
seine Augen geblickt und zum ersten Mal so etwas wie Furcht gesehen. Aber es
war nicht die Angst gewesen, das eigene Leben zu verlieren, sondern etwas
anderes. Anfänglich hatte sie es nicht verstanden, dann aber langsam begriffen,
dass es eher die Angst davor war, ein unvollständiges, malerisches Werk
zurücklassen zu müssen. Für einen Besessenen wie Michele das Grauen.
    Allein dieser Gedanke, so hoffte
sie, konnte Michele in diesem Gefängnis aufrecht halten. 
    Ihr war der Gedanke gekommen,
Francesco Sforza Colonna, den Gönner Micheles, zu bitten, ihr zu helfen, aber
dieser hatte Malta in Richtung Rom verlassen, und sein Haus- und Hofmeister
wollte sie nicht einmal empfangen. Auf unbestimmte Weise überkam sie das
Gefühl, dass die Abreise Sforza Colonnas und die Verhaftung Micheles in direktem
Zusammenhang standen. Die schützende Hand über Michele war weggezogen worden.
    Das Feuer brannte, und der Duft
frischer Brotfladen und dampfender Fischsuppe füllte den Raum. Sie schlug die
Decke zurück und trat auf den Strand hinaus. Jetzt lag das Fort im ersten
Sonnenlicht gelb und majestätisch vor ihr, eine gewaltige Trutzburg, die den
inneren Hafen bewachte, mit steilen, beinahe senkrecht über einem schmalen
felsigen Strand aufragenden Mauern. Sie konnte hören, wie mit Getöse die Kette,
die den Zugang zum Hafen zwischen Sant’Angelo und der Insel Senglea abschloss
und nachts gespannt war, herabgelassen wurde. Und dies bedeutete gleichzeitig
das Signal für die Kette bei St. Elmo an der Einfahrt zum großen Hafen. Auch
sie hörte Nerina fallen, als sie aufmerksam in den anbrechenden Morgen hinein lauschte.
Die Fischer waren bereits im Hafen unterwegs gewesen und landeten einen ersten
Fang und Muscheln an, die wie Perlen an langen Stangen hingen, die ins Wasser
gesteckt worden waren.
    Verzweiflung stieg in ihr hoch und
ließ sie schwer atmen. Sie bemerkte, dass Milena zu ihr hinausgekommen war und
sich neben sie gestellt hatte.
    „Er kommt frei, Nerina. Ganz
sicher.“
    Wenn Nerina das mächtige Mauerwerk
betrachtete, mit dem sich Sant’Angelo schützte, dann glaubte sie nicht recht
daran. Was, wenn Michele sich in den feuchten Kerkerlöchern eine Krankheit
zuzog, von einer Ratte gebissen wurde oder sich eine Wunde entzündete? Allein
der Wein würde ihm fehlen, würde ihn in einen zitternden Greis verwandeln,

Weitere Kostenlose Bücher