Das Vermaechtnis des Caravaggio
Frage, die Erleichterung in das Gesicht des Paters zauberte. Offenbar machte
er sich tatsächlich Sorgen.
„Welche Aufgabe habt Ihr für mich
vorgesehen?“
13.
Etwas an seinen Überlegungen war
falsch!
Die Kutsche, die Enrico von Mailand
aus im Eiltempo nach Genua brachte, schlug ihm die Gedanken regelrecht aus dem
Kopf. Nur unter größten Mühen gelang es ihm, sich auf der von Bodenunebenheiten
übersäten Strecke zu konzentrieren. Die Heimatstadt Micheles, Caravaggio
selbst, hätte er gerne noch besucht, auch Venedig, wo sich der Maler ebenfalls
aufgehalten haben sollte, ihm in Bologna und Florenz nachgespürt, aber die
Botschaft seines Herrn klang unmissverständlich – und er sorgte sich um Nerina.
„Pericolo in mora! Gefahr in Verzug!“,
lautete der lapidare Satz, die Losung, die ihn wie verabredet auf schnellstem,
wenn auch holprigem Wege nach Rom zurückrief.
Anfänglich hatte er sich das Gehirn
darüber zermartert, was Michele zugestoßen sein konnte, welches Ereignis
Ferdinando Gonzaga veranlasst haben mochte, so heftig zu reagieren. Zu wenig
hatte der vorsichtige Mantuaner verlauten lassen. Briefe wurden gelesen,
Inhalte weitergeben. Nur was von Ohr zu Ohr geflüstert wurde, besaß in Rom die
Gewähr, geheim zu bleiben. Das Spitzelsystem im Vatikanstaat gebot Vorsicht,
und nur die hatte Ferdinando Gonzaga walten lassen.
Enrico interessierte die Landschaft
kaum, die am Verschlag seiner Kutsche vorüberflog. Langsam begann sich die
Natur zu erholen, nächtlicher Regen nässte die trockenen Matten. Das Braun der
verbrannten Böden verschwand und machte farbenfrohen Feldern, Bäumen mit
reifem, weithin leuchtendem Obst und dem Grün der Ebenen Platz. Enrico klemmte
sich mit den Schultern in eine der Ecken der Kutsche zwischen Samt und Leder,
damit er nicht zu stark herumgeworfen wurde, lauschte auf das Knallen der
Peitsche und die Flüche des Kutschers und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er
hatte beschlossen, Micheles Notlage, wie sie ihm durch die Botschaft aus Rom
vorgegaukelt wurde, vorerst aus dem Gedächtnis zu streichen. Sie behinderte ihn
bei seinen Überlegungen. Seine letzten Gespräche musste er noch einmal
durchdenken.
Peterzano, Caterina Merisi und ein
ehemaliger Genosse aus Jugendtagen, Carlo Galiti, der mit ihm bei Meister
Peterzano gelernt hatte, dann aber von einer Leiter gefallen war und seither in
Mailand als Lahmer sein Brot vor den Kirchentüren erbettelte, hatten Licht in
Micheles Vergangenheit gebracht, aber etwas stimmte nicht, etwas ließ ihn immer
wieder stocken, wenn er darüber nachdachte.
Carlo, den er mit Hilfe Meister
Peterzanos vor dem Dom in Mailand ausgemacht hatte, hatte sich nicht als
sonderlich gesprächig erwiesen. Was er ihm allerdings erzählt hatte, war
bemerkenswert gewesen.
Michele hatte tatsächlich den Sohn
eines Mailänder Adligen im Duell getötet. Allerdings blieben die Umstände und
Gründe für diesen Kampf im Dunkeln. Jedenfalls hatte der Vater des Opfers auf
eine weitere Verfolgung verzichtet, wenn Michele ein Jahr dafür ins Gefängnis
ging. Ihm wurden dafür eine ordentliche Unterbringung und ein eigener
Kerkerraum zu Verfügung gestellt. Für Enrico hatte das nach einer Vereinbarung
geklungen, die eine Blutrache zwischen Mailänder Familien verhindern sollte. Im
Vorfeld musste also ein Ereignis stattgefunden haben, das Micheles Anspruch auf
ein Duell zumindest abgesichert hatte. Der tödliche Ausgang für den verwöhnten Adligen
mochte deshalb ein Zufall gewesen sein, vielleicht aber auch ein legitimes
Opfer, das von der Familie gebracht worden war. Carlo hatte ihm den Namen des
Getöteten bestätigt, Antonio Di Russo. Er war sich aber sicher gewesen, dass
der zweite Sohn des Adligen in den Kirchendienst eingetreten war, als
Johanniter.
Zumindest eine Verbindung besaß er
jetzt zu dem Johanniter, der Nerina in Neapel so schwer verletzt hatte. Was
unklar blieb, war, warum der Johanniter Michele verfolgte, obwohl Rache und
Sühne offensichtlich bereits zwischen den Familien geklärt worden waren. Der
Johanniter besaß kein Recht mehr drauf, Michele zu bedrängen – außer es war
etwas vorgefallen, was dieses Verhalten rechtfertigte. Was dies gewesen sein
könnte, ahnte er nicht einmal. Es konnte allerdings auch sein, dass seine
Überlegungen einen Fehler aufwiesen. War der Johanniter gar nicht die
eigentliche Bedrohung? Wenn dies der Fall war, von wem ging sie dann aus?
Ein Schlagloch warf Enrico aus der
Ecke und aus seinen
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