Das Vermaechtnis des Caravaggio
Strich durch die Rechnung zu machen.
12.
Bereits beim Erwachen umfing Nerina
ein Geruch nach tranigem Fisch, Holzkohlerauch und Brackwasser. All das
vermischte sich mit Geräuschen, die ihr mittlerweile so vertraut waren, als
wäre sie im Dunstkreis des Hafenbeckens aufgewachsen, dem Schreien der Fischer,
dem Klatschen des Wassers an die hölzernen Bootswände, dem Tropfen der
Fischernetze. Selbst der Geschmack nach Meersalz und rohem Fisch verließ sie
nicht. Sie gehörten dazu, seit sie bei Evangelos Anomeritis untergekommen war,
einem griechischen Fischer, der mit seiner Frau Milena und drei Kindern in der
Bucht des großen Hafens in einer Holzhütte hauste. Zufällig hatte sie ihn auf
dem Markt in La Valletta getroffen, wie er auf die Ritter und ihre
unverschämten Steuern, auf die vermaledeiten Adligen und auf die Türken
gleichermaßen schimpfte, die daran schuld waren, dass Malta sich gab, als
herrsche weiter der Belagerungszustand. Ihr hatte Evangelos’ Art gefallen, und
sie waren ins Gespräch gekommen. Sehr genau hatte er darüber berichtet, dass
der Bau der Stadt La Valletta auf der öden Landzunge im Westen des großen
Hafens, direkt gegenüber der bereits früher befestigten und besiedelten Insel
Senglea, truhenweise Scudi verschlungen hatte, die, so hatte er gesagt, in den
Felsen geklopft worden waren. La Valletta war auf Gold gebaut worden, nur um
eine Befestigung in Malta zu errichten, die es ermöglichte, so lange den
türkischen Heeren und Flotten standzuhalten, bis aus ganz Europa Entsatzheere
anrücken konnten. „Ihr erbauet eine neue Stadt und ihr nehmt all ihre
Unbequemlichkeiten auf Euch in der Hoffnung, dass andere, wenn ihr sie gut
erbauet, kommen und sich hier ansiedeln werden“, solle der Baumeister und Architekt
Laparelli gesagt haben. Dass die Neusiedler aber ausgepresst wurden wie die
Zitronen, davon, so schimpfte Evangelos jedenfalls täglich vor und nach seinem
Marktgang, sprach niemand.
Langsam öffnete sie die Augen. Die
Sonne schob sich gerade am Fort Sant’Angelo vorbei und stach mit ihren ersten
Strahlen durch die Ritzen der Hütte. Nur einen Raum bot die Hütte, auf deren
nördlicher Seite die Eltern schliefen, während die Kinder und Nerina auf einem
niederen Gestell im Westen gegenüber dem Eingang lagen.
Milena hockte an der Feuerstelle
und schürte gerade den Ofen für das Frühstück. Es würde wie jeden Tag aus einer
warmen Fischsuppe und aus getrocknetem und gemahlenem Fisch bestehenden Knödeln
bestehen, dazu ein Stück Brot. Das Brot aß die Familie ihretwegen, da Getreide
auf der Insel teuer war, und nur auf ihren Wunsch hin täglich einige Fladen
gebacken wurden, die sie gesondert bezahlte. Kurz griff sie neben sich und
suchte nach dem Bild. Gut verborgen lag es unter einer Decke, gehüllt in sein
wächsernes Tuch.
„Hat Evangelos nicht erzählt, der
Name Maltas ginge auf die Römer zurück, die sie Melita nannten nach dem
Honigvorkommen, oder zumindest nach der Farbe der Felsen, die sie an
Bienenhonig erinnerten? Sie hätten sie Pescaria taufen sollen, weil es überall
nach Fisch riecht. Langsam, glaube ich, bin ich selbst ein Fisch. Vielleicht
hielt es der Apostel Paulus nach seinem Schiffbruch an Maltas Küste deshalb nur
drei Monate hier aus, weil er den fortwährenden Fischgeruch satthatte.“
Milena lachte.
„In Griechenland erzählt man sich,
die Karthager, oder die Phönizier, was dasselbe ist, hätten die Insel als
Zuflucht benutzt, und Zuflucht hieß in ihrer Sprache eben Malet. Es klingt wie
Malta. Vater kannte die Geschichte besser.“
Nerina wunderte sich schon lange
nicht mehr über die Bildung Milenas. Sie hatte erfahren, dass Milenas und
Evangelos’ Vorfahren Galeerensklaven der Osmanen gewesen waren, Ruderer und
Dienerinnen, die sich bei der Belagerung befreien und an Land gelangen konnten,
als das eigene Schiff unterging. Späterhin hatte ihnen der Großmeister, da sie
Christen waren und rechtschaffen, Siedlungsfreiheit und das Recht auf einen
ehrlichen Beruf gewährt. Die Familien von Milena und Evangelos hatten sich für
die Fischerei entschieden, obwohl sie zuvor in ihrer alten Heimat Händler und
Kaufleute gewesen waren. Dorthin zurückzukehren war ihnen jedoch verschlossen.
So brachte der Vater ihr, obwohl er nur den Beruf des Fischers ausübte, das Lesen,
Schreiben und Rechnen bei, wie er es vom Großvater gelernt hatte.
Nerina setzte sich auf. Ihr Blick
fiel durch die offene Tür direkt hinüber auf das Fort Sant’Angelo, und
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