Das Vermaechtnis des Caravaggio
Es leuchtete unter einem vielfarbigen Himmel blau und grün. Unter
ihm stieg die Stadtmauer von Genau grau und mächtig aus dem Gelände. Die beiden
Rundtürme der Porta Soprana winkten trutzig. Die ersten Häuser und Güter, die noch
außerhalb der Mauer lagen, zogen an ihnen vorüber. Kaum einmal jemand, der
hochblickte, als er die Kutsche vorüberfahren hörte. Über dem Meeresglitzern
versprach der Himmel Hitze und Trockenheit, aber ebenso nächtlichen Regen.
Dazwischen, wie eingeklemmt von Meer und Gewölk, die Ahnung, dass es einen
Hafen geben musste, in dem neben kleinen Fischerbooten mächtige Galeeren und
Handelsfeluken schaukelten. Aber das Abfallen des Geländes zum Strand hin war
so steil, dass er nicht hinuntersehen konnte. Um die Kutsche her lärmte es auf.
Menschen, die der Stadt zuströmten, sammelten sich auf der Straße, sodass es
enger wurde und die Kutsche langsamer vorankam.
Enrico fühlte sich an einen Satz
des Dichters Francesco Petrarca erinnert, der über Genua geschrieben hatte: „Du
wirst eine Stadt sehen, die sich königlich auf den letzten Hügeln der Alpen
ausbreitet; unvergleichlich sind ihre Bevölkerung und die Mauern ...“
Sein Aufenthalt würde kurz
ausfallen. Von der ligurischen Kapitale würde ihm allenfalls der Geruch der
Fischreusen bleiben, die am Hafenbecken trockneten. Wenn er Glück hatte, lag
seine Feluke bereit und legte ab, wenn nicht Sturm oder heftiger Wind vom Meer
her ein Ausfahren behinderten. Erst dann musste er sich um eine Unterkunft
bemühen.
Michele überließ es dem Kutscher,
die Formalitäten am Tor zu erledigen. Allein das Siegel des Herzogs von Mantua musste
Tür und Tor öffnen.
Die Zeit des Wartens warf ihn
zurück auf seine Überlegungen. Was, wenn Caterina den Adelsspross wirklich
geliebt hatte? Was, wenn es zu Intimitäten gekommen war, die Michele als
ältester Sohn der Familie, als männliches Oberhaupt so nicht mehr dulden wollte
und durfte? Dann hätte er Rechenschaft fordern müssen, zumindest solange, bis
eine Hochzeit ausgehandelt war. Möglicherweise hatte er eben das versucht und
war abgewiesen worden. Den Ruf der Schwester geschändet und die Ehre der
Familie verletzt. Viele Männer waren für weniger gestorben.
Sobald er Michele sah, würde er ihn
zur Rede stellen. Nur dann fühlte er sich in der Lage, Caravaggio zu helfen.
Bilder konnte der Maler nur dann wieder in Ruhe erstellen, wenn ihm die Last
seiner Verfolgung von den Schultern genommen war.
Sie durchquerten das Tor zur Stadt
ohne Probleme. Mit einem Zuruf bat ihn der Kutscher, das Brückengeld zu
bezahlen, was Enrico großzügig übernahm. So verhinderte er zumindest, dass sie
im inneren Tor der Wehranlage ein zweites Mal angehalten und durchsucht wurden.
Enrico wollte sich eben dem Treiben
der Straße zuwenden, sich vom Gewimmel der Menschen, vom Geschrei und Geruch
der engen Straßen und Gassen mit ihren Abstandsbögen in luftiger Höhe einnehmen
und ablenken lassen, als er auf eine Überlegung stieß, die er bislang noch
nicht verfolgt hatte.
Michele Merisi hatte Kardinal Del Monte
zweimal aufs Äußerste beleidigt. Einmal hatte er einen Auftrag zurückgewiesen,
den Del Monte ihm verschaffen wollte, ein andermal war er aus dessen Palast
geflohen, obwohl sich der Kardinal seiner angenommen hatte. War der Grund für
die erste Ablehnung ein künstlerischer und somit einsehbarer, erfolgte die
Flucht aus dem Palast Madama aufgrund einer persönlichen Ablehnung. Ihm
widerstrebte der Gedanke an die Männerliebe, die dort praktiziert wurde.
Michele wusste also von der Neigung des Kardinals. Er wusste ebenso von der
Neigung seines Bruders. Gab es über diese Verbindung möglicherweise eine Linie,
die direkt zum Verfolger Micheles führte? Machte ihn, Enrico, womöglich die
Familiengeschichte der Merisis blind für einen anderen, für Michele weit gefährlicheren
Zusammenhang, dem von Männerliebe und Kardinalsehre?
Würgender Fischgeruch riss ihn aus
seinen Überlegungen. Die Kutsche hielt im Hafen, und aus dem Verschlag heraus
erkannte er Leinwände, Masten, Taue, die sich durch sein Blickfeld wanden. Jetzt
galt es, den Segler auszumachen, den Kardinal Ferdinando Gonzaga geschickt
hatte, und in See zu stechen.
Vielleicht lag er jetzt auf der
richtigen Spur, verdrängte aber die Überlegungen, die er zu Del Monte und
Micheles Bruder Giovan Battista angestellt hatte, in ein unteres Fach seines
Gedächtnisses. Jetzt galt es, die Feluke zu finden. Die Heimat schmeckte doch
eine
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