Das Vermaechtnis des Caravaggio
gesagt, geh weiter, wenn dir ein Mann schön tut.“
Jetzt lachte auch Enrico und sah
auf. Aus dem Augenwinkel hatte er eine Bewegung am Palazzo Borghese
wahrgenommen. Tatsächlich betrat Scipione Borghese den Platz. Er hüllte sich in
einen weiten dunklen Mantel und schlug eben einen Schal über das Gesicht, als
würde ihn frieren, und kam mit schnellen Schritten auf sie zu. Ein schmaler
Kopf mit stechenden Augen, über denen schwer die Lider lagen, mit weichen,
eleganten Gesichtszügen, die bereits eine Anlage zur Verfettung zeigten. Es war
das gelangweilte Gesicht eines Adligen, dem der Überdruss an der Welt mit in
die Wiege gelegt worden war.
Enrico wunderte sich. Gegen den
späten Nachmittag, allein, ohne Sänfte, in einer Kleidung, die ihn in der Menge
unkenntlich machte, und unterwegs in eine Richtung, die keineswegs zu den
Gegenden zählte, in denen sich Adlige normalerweise aufhielten, schon gar keine
Borgheses. Dazu war sie zu gefährlich. Das Räuberunwesen Roms gedieh dort
prächtig.
Wenn er schon den Auftrag hatte,
hinter den Machenschaften der Familie Borghese herzuschnüffeln, war das für ihn
die beste Gelegenheit. Offensichtlich führte Scipione Borghese etwas im
Schilde.
Enrico überlegte kurz.
„Julia, ich möchte nicht, dass
deine Mutter sich Sorgen um dich macht. Darf ich dich wieder abholen? Ja?
Versprich es mir!“
So hastig, so überstürzt sagte er
es, dass das Mädchen verstört aufblickte. Enrico wusste, dass sie ihn im
Augenblick nicht gerade für einen Ausbund an Galanterie hielt, aber er hatte es
eilig. Scipione Borghese bog vor ihnen in eine Seitengasse ein und eilte
schnellen Schritts in Richtung Marsfeld und Kapitol davon. Enrico musste ihm
folgen.
Julia nickte. Überschwänglich gab
er ihr einen Kuss auf die Wange und ließ sie stehen. Auch das ging ihm gegen
seine Prinzipien. Zuerst machte er dem Mädchen Hoffnung, und dann war sie ihm
plötzlich gleichgültig. Hoffentlich hatte sie nicht bemerkt, dass er hinter
ihrem Herrn herlief. Ein kurzer Blick zurück überzeugte ihn, dass sie zu sehr
mit sich selbst beschäftigt war. Sie berührte ihre Wange und lief eilig davon.
Jetzt konnte sich Enrico ganz der
Verfolgung Scipione Borgheses widmen.
Als er in die Gasse einbog,
blendete ihn zunächst die tief stehende Sonne. Mit zusammengekniffenen Augen
versuchte er, in dem Gewühl und Geschrei, das ihm entgegenschlug, die schwarz
gekleidete Gestalt Scipione Borgheses ausfindig zu machen. Alte Männer hockten
auf ihren Fersen, mit dem Rücken gegen die Mauern gelehnt, und unterhielten
sich lautstark über den Papst, die Fischpreise, das Vordringen der Türken, die
Schwierigkeiten mit Venedig und Ungarn, die Konversion des französischen Königs
Heinrich IV. zum Katholizismus, über Kinder und Ehefrauen. Enrico hörte mit
einem halben Ohr zu, ordnete die Gesprächsfetzen automatisch und begann in die
Gasse hineinzulaufen. Kreischende Kinder sprangen hinter ihm her. Mit einer
Handbewegung versuchte er, sie zu verscheuchen. Aus den oberen Stockwerken
keiften Frauen herunter – und er wusste nicht, ob ihre Schimpftiraden ihm oder
den Gören galten.
Die Gasse weitete sich, und die
Kinder blieben zurück. Enrico trat auf eine größere Straße hinaus, in der
Hoffnung, Scipione Borghese zu sehen. Mehrere Wege zweigten ab. Rechter Hand
wuchs eine Kirche mit breiter, doppelstöckiger Fassade empor, die Enrico nicht
kannte. In ihrem Tympanon prangte, soviel er sehen konnte, das Lilienwappen der
französischen Könige. So sehr er umherspähte und sich bemühte, Scipione
Borghese blieb verschwunden. Er blieb stehen und verfluchte seine Pietät
gegenüber Julia. Nur weil er hatte höflich sein wollen, hatte er den Adligen
verloren.
Was tat der Borghese in dieser
Gegend? Warum verbarg er sich hinter einer Maske? Eine andere Funktion konnte
der Schal unmöglich haben. Hatte er das nötig? Dieser Scipione Borghese war ein
Fuchs, intelligent und mit allen Wassern gewaschen. Wenn er die Sicherheit des
Palazzo verließ, dann vermutlich deshalb, weil sein Oheim Camillo keine
Nachricht von seinen Kontakten und Vorhaben bekommen sollte. Er arbeitete
hinter dessen Rücken. Hielt er heimlich Verbindung zur spanischen Fraktion?
Möglich schien Enrico alles. Für seinen Herrn Ferdinando musste auch diese
Beziehung interessant sein. So konnte man den Neffen gegen den Oheim
ausspielen. Aber er hatte Scipione Borghese verloren und all seine Gedanken
blieben Spekulation. Womöglich hatte er auch Julia
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