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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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verprellt. Jedenfalls würde
es nicht leicht werden, sich ihrer wieder zu versichern.
    Enrico schlug mit der Faust in die
Hand und verwünschte sein Zögern.
    Vor der Hitze flüchtete er in das
Innere der Kirche. Er brauchte einen kühlen Ort, der ihm klare Gedanken
ermöglichte. Ein dünner Strom Gläubiger, der von drinnen nach draußen floss,
ließ die Kirchentür nicht zufallen. Enrico schlüpfte hinein und war sofort von
der Kühle der Kirche umfangen. Er hielt einen der Gläubigen auf, die zum
Ausgang strömten.
    „Sagt, was ist das für ein
Gotteshaus?“
    Der Fremde sah ihn etwas verdutzt
an, dann lächelte er und meinte in einem französisch gefärbten Italienisch:
„San Luigi dei Francesi! Die französische Nationalkirche.“
    Enrico nickte und betrat den
Innenraum, der in rosafarbenem und gelbem Marmor leuchtete. Wegen der Messe,
die eben geendet hatte, löschten Messdiener die Kerzen vor dem Altar. Der Raum
verbarg sich in Weihrauchnebeln und Kerzenrauch. Langsam schritt Enrico das
Mittelschiff ab. In der hintersten Kapelle verhielt er den Schritt. Was er dort
sah, verschlug ihm die Sprache. Sie war offenbar dem Heiligen Matthäus
gewidmet, und die Gemälde, die dort hingen, waren in ihrem ganzen Stil, in
ihrer ganzen Würde von niemand anderem gemalt als von Michelangelo Merisi, von
Caravaggio.
    Bilder und ihre Botschaften hatten
ihn seit jeher fasziniert. Ihre eigene Sprache, die sogar so etwas wie einen
Dialekt entwickeln konnte, regionale Unterschiede, die nur zu lesen vermochte,
wer sich darin übte, und die dem ungeschulten, profanen Betrachter verborgen
bleiben mussten. Im Konvent hatte er diesem Interesse frönen können, war sogar
darin bestärkt worden. Ob die Glasmalereien der Fenster oder die Gemälde in den
Kapellen, das Altarbild oder die Porträts der Äbte und Bischöfe, ob
Buchillustrationen oder die Schnitzwerke am Chorgestühl, immer war er in deren
Betrachtung versunken und hatte die Mitbrüder Löcher in den Bauch gefragt. Beim
Prior des Konvents war seine Neugier auf offene Ohren gestoßen, und schon bald
nahm er ihn mit, wenn es galt, Anschaffung von Codizes oder Bildern für den
Konvent von Santa Croce zu begutachten. Noch heute dankte er dem Prior dafür, dass
er ihn nicht in eine geistliche Laufbahn gezwungen, sondern ihn als Laienbruder
anerkannt und ihn nach Bologna auf die Universität geschickt hatte, um die
Rechte zu studieren und dem Kloster irgendwann nützlich zu sein. Ihr werdet,
hatte ihm der Prior damals gesagt, Euer Wissen in den Dienst des Ordens stellen
und vergelten, was Euch gegeben wurde. Hatte er nicht für Santa Croce Gemälde
und Bücher aufgekauft und bewertet? Und dann wurde er von Bologna aus nach
Mantua gerufen, an den Hof der Gonzaga, auf  Empfehlung des Priors hin.
    Enrico betrat die Kapelle, ließ
sich auf dem Betstuhl am Eingang gegenüber dem Altarbild nieder und betrachtete
zuerst das Bild links davon. Es zeigte die Berufung der Heiligen Matthäus. Ein
überdimensionierter Arm zeigte auf den Apostel, der noch sein Amt als
Zolleinnehmer ausübte und Münzen nachzählte. Direkt von seiner Tätigkeit weg
wurde Matthäus hier abberufen, um dem Herrn nachzufolgen. Enrico war es, als
würde das Licht, das von rechts einfiel, den Zolleinnehmer mit hinausziehen,
hinein in das Licht der Erkenntnis.
    Über dem Altar selbst hing ein
weiteres Bild, das den Apostel zusammen mit einem Engel zeigte, gealtert jetzt
und mit dem Ausdruck letzter Erwartung. Ja, der Apostel hob bereits ab, da er
mit einem Bein den Boden verließ. Wie oft zog man das Bein auf den Stuhl, um
bequemer zu sitzen, ja kniete beim Schreiben eher, als dass man saß, ließ die
Pantoffel zu Boden fallen. Und in dieser Haltung lag etwas, das an den Heimgang
des Menschen in himmlische Gefilde gemahnte und ihn gleichzeitig aus der Welt
abgehobener Religiosität auf den Boden des Volkes zurückverwies. Eine Geste der
Nachlässigkeit. Der Apostel war zu alledem barfuß. In Enrico stieg das
Glücksgefühl auf, das ihn der Kunst zugetrieben hatte. Er musste lächeln und
wollte sich eben dem dritten Bild zuwenden, als er hinter sich ein Flüstern
vernahm.
    Die Stimmen klangen eindringlich,
als würde ein Mensch auf einen anderen einreden, dem nur zwischendurch erlaubt
war, das Gesagte zu bestätigen. Enrico wagte es nicht, sich umzudrehen, da er
die Stimme des Redenden sofort erkannt hatte.
    Satzfetzen drangen zu ihm herüber,
Wörter mit innerer Dramatik, aber ohne Zusammenhang.
    „... Caravaggio ...

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