Das Vermaechtnis des Caravaggio
transportierten, harrten in einer schier endlosen Schlange auf Einlass und
entrichteten ihren Torpfennig. Mit zusammengebissenen Zähnen trieb Nerina ihren
Esel weiter. Ihr Hintern fühlte sich wundgescheuert an von den borstigen Haaren
ihres Reittiers. Nicht einmal Sättel oder eine Decke hatten sie sich geleistet,
als sie überstürzt aus Syrakus geflohen waren. Übermüdet wie sie hing Michele
auf seinem Esel, die Hände auf dem Schoß gekreuzt, und überließ sich dem
Grautier, das jetzt, beim Geruch von Stall und Futter, einen heiseren Schrei
ausstieß, aber deswegen keinen Schritt schneller ging. In regelmäßigen
Abständen fuhr ein Schauer über Micheles Körper, der in einem Zittern der Hände
endete. Michele fieberte, der schneidend feuchte, eisige Dezemberwind gestern
und der alles durchdringende Nebel heute setzten ihm zu.
Unter den misstrauischen Blicken
der Torwache näherten sie sich, verstaubt und übermüdet.
„Halt! Passierscheine,
Reiseerlaubnisse!“
Bevor Nerina noch damit beginnen
konnte, über fehlende Unterlagen und mangelnde Papiere zu lamentieren, erscholl
hinter der Wache eine tiefe dunkle Stimme, die so gar nicht in diese Landschaft
passen wollte.
„Madre mia! Warum so unfreundlich?
Seid Ihr aus Syrakus? Seid Ihr der berühmte Pintor Messer Caravaggio mit seiner
Gehilfin?“
Michele schien hochzuschrecken und
starrte den für die Gegend zu hellhäutigen Mann an. Geistesgegenwärtig übernahm
Nerina das Gespräch, weil sie ahnte, dass Michele in seiner momentanen
Verfassung dazu wohl nicht in der Lage war.
„Wenn dies der Mann wäre, den Ihr
erwartet?“
Ein breites Grinsen antwortete ihr.
Eingeschüchtert traten die Wachen einen Schritt zurück, als der Hüne aus dem
Dunkel des Tores trat, breitschultrig, in einen schweren, wollenen Mantel
gehüllt, auf Säulenbeinen, die in schwarzledernen Stiefeln steckten.
„Dann seid Ihr per Schnellsegler
von Mario Minniti angekündigt worden. Der Senat der Stadt“, und dabei betonte
er laut und für die beiden Wachen deutlich vernehmbar den Begriff Senat, „heißt
Euch in seinem Namen und in dem des spanischen Königs willkommen.“
„Michele Merisi, den alle
Caravaggio nennen, nimmt Euer Willkommen gerne entgegen.“
Zwar konnte Nerina diese
überfreundliche Begrüßung nicht recht einschätzen und wunderte sich etwas, aber
das Wetter und Micheles Zustand ließen ihr keine Wahl. Zudem murrten hinter ihr
die Bauern, die auf den Markt der Stadt drängten. Zuversichtlich trieb sie
ihren Esel an, und ungehindert trabte sie, Micheles Tier am Zügel, durch das
für sie beide jetzt offene Tor. Der Hüne folgte ihnen.
„Ihr seid nicht aus Sizilien?“, erkundigte
sie sich, als sie die Hauptstraße der Stadt betraten, die sich anfänglich breit
und beinahe kerzengerade durch Messina schnitt.
„Nein, ich stamme aus dem Norden,
aber die Geschäfte und die Liebe halten mich hier an der Königin der Meerenge,
in Messina, fest.“ Er lachte tief. „Mit Caravaggio verbindet mich zumindest die
Namensgebung. So wie er nach seinem Heimatort heißt, nennt man mich Augsburger.
Ich stamme von dort. Eine Stadt, ebenso mächtig und reich wie Messina, nur in
den letzten Jahren von einer Schar unfähiger Führer in den Ruin getrieben.“
Er lachte hell auf, als könne er
aus der Entfernung über das Missgeschick seiner Landsleute nur Verachtung und
Mitleid empfinden.
„Wo wollt Ihr uns unterbringen?
Michele braucht Ruhe, er ist krank – und zudem muss er malen!“
Den letzten Satz sagte sie leise,
da Nerina nicht wollte, dass Micheles Gesundheitszustand und seine Malerei
miteinander in Verbindung gebracht wurden. Augsburger schien jedoch ein feines
Gehör zu besitzen, denn wieder lachte er laut.
„Alles wird zu Eurer Zufriedenheit
gelöst, glaubt mir. Ich habe meinen Diener vorausgeschickt. Ihr werdet in der
Herberge der Ritter untergebracht, und ich verspreche Euch, es werden die
besten Zimmer sein.“
Im dichter werdenden Gewühl der Stadt
griff der Hüne nach Nerinas Zügel und lief voraus. Bereitwillig traten die
Bewohner und Bauern zur Seite, als wären sie es gewohnt, durch die Erscheinung
Augsburgers verdrängt zu werden. Hinter ihr hörte sie jedoch ein Flüstern und
Wispern, als summe ein ganzes Bienenvolk die Neuigkeit durch ihren Korb. Sie
wagte einen Blick zurück und gewahrte, wie die Menschen die Köpfe
zusammensteckten, wie sie ihnen Blicke hinterherschickten. Kannten die Messiner
Micheles Geschichte? Was wurde von ihm erzählt?
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