Das Vermaechtnis des Caravaggio
aufgetaucht war. Noch
vor einem Jahr hätte ihm Michele die Leinwand hinterhergeworfen. Vor jetzt
vierzehn Tagen, fiebrig und matt, hatte er nur genickt und sich etwas anderes
einfallen lassen. Mit dem Familiennamen der Lazzari sollte Michele spielen, und
da ergab sich nur die Verbindung zur Erweckung des Heiligen Lazarus, die
ausschließlich im Evangelium des Johannes zu finden war. Die drei Beziehungen
überzeugten den Kaufmann: Lazarus als Anspielung auf den Familiennamen Lazzari,
das Evangelium als Bezug zum Taufnamen des Stifters, Giovanni, und die
Tatsache, dass ein Ritter der Johanniter aus Jerusalem das Bild fertigte.
Seither hatte Michele an der Leinwand gestanden, während sie für ihn auf der
Straße nach Modellen gesucht hatte.
„Nur der Gestank ist unerträglich,
Messer Caravaggio. Muss das wirklich sein?“
„Wenn Ihr wollt, dass das Bild die
Herzen der Menschen rührt, muss es sein“, antwortet Michele scharf.
„Aber Lazarus wird in die Welt der
Lebenden zurückgerufen, Messer Caravaggio. Es hätte also ausgereicht, einen
lebenden Menschen in Pose zu setzen ...“
„Hört, Signor de’ Lazzari, Ihr mögt
wissen, wie man einen Ballen Wolle abschätzt, vielleicht könnt Ihr auch ein Gewicht
allein dadurch abwiegen, dass Ihr es in die Hand nehmt, aber wenn es um Malerei
geht, versteht Ihr davon so viel wie der Hund vom Mond. Ihr könnt das Bild
anbellen, aber Ihr könnt es nicht malen – und über die notwendigen Mittel für
meine Kompositionen wisst Ihr nicht einmal das!“
Die letzten Worte hatte Michele nur
geflüstert, unterbrochen von einem heiseren Husten.
Sofort zuckte de’ Lazzari zurück.
Zwar hatte ihm Nerina bereits gesagt, dass Michele heftig reagieren konnte, was
die Beurteilung seiner Bilder anbelangte, dass er aber derart scharf ansprang,
erstaunte den Kaufmann offensichtlich doch.
„Herr!“
Michele sah auf und musterte die
drei Männer beim Leichnam.
„Ja?“
Es handelte sich um drei Fischer,
deren Gesichter Nerina gefallen hatten und die sich im Frühjahr, während die Fischerei
kaum etwas einbrachte, gern als Modelle verdingt hatten.
„Herr, der Leichnam stinkt
unerträglich. Ich kann ihn nicht mehr halten. Verzeiht!“
Damit ließ der ihn fallen, der ihn
bislang, leicht über ihn gebeugt, gehalten hatte, trat einen Schritt zurück und
bedeckte seine Nase mit der Hand. Auch die beiden anderen Modelle lösten sich
aus ihrer Haltung. Der dumpfe Fall des Leichnams, der drei Tage alt war und
entsprechend nach Verwesung roch, hallte in dem Zimmer des Hospitals wider.
Unwirklich hörte sich für Nerina der Fall an, als wäre den Männern ein Stein
vom Herzen gefallen.
Auch de’ Lazzari wirkte überrascht
und verärgert über das Geschehen, aber er schien die Männer zu verstehen. Nur
Michele verfiel in eine Art Starre. Als könne er nicht glauben, was er sah,
blickte er auf den Leichnam vor sich. Dessen wächserne Haut war bereits übersät
mit den dunklen Flecken der Auflösung. Die Haut begann sich in schmierigen
Fetzen zu lösen.
Keineswegs überrascht von Micheles
Verhalten, wartete Nerina auf den Ausbruch, der in eben dem Moment erfolgte,
als einer der Männer, der Träger des Leichnams, sich zu rechtfertigen versuchte
und mit ausgestreckter Hand auf Michele zuging, wohl um seinen Lohn zu fordern.
Bevor der Mann wusste, wie ihm
geschah, hatte Michele seinen Degen gezogen und ihm mit der flachen
Klingenseite auf eben diese Handfläche eingedroschen, dass das Blut spritzte.
„Seid Ihr verrückt? Bezahle ich
Euch dafür, dass Ihr mir ein Bild verderbt? Verfluchte Bande. Euch zeige ich,
wann ein Leichnam zu riechen beginnt.“
Gleich einem Tobsüchtigen sprang
Michele unter sie und hieb, links und rechts Schläge mit der flachen Klinge
austeilend, auf die Männer ein. „Einem Cavaliere di Grazia die Gefolgschaft
verweigern heißt, seinen Zorn herauszufordern. Nehmt den Leichnam auf. Ich
werde Euch sagen, wann Ihr ihn fallen zu lassen habt. Wenn einer von Euch
glaubt, er könne durch die Tür hier den Raum verlassen, so rufe ich ihm zu, er
wird mit den Füßen zuerst hinausgetragen werden oder hierbleiben.“
Wild gestikulierend vollführte
Michele mit dem Degen Scheingefechte in der Luft und bekämpfte imaginäre
Gegner. Dabei sauste die Klinge haarscharf an den Köpfen der Fischer vorüber,
die sich erschrocken zu dem Leichnam niederbeugten und ihn wieder aufhoben.
„Verfluchte Bande. So muss er
liegen, die Arme gespreizt, als empfange er das Leben wieder,
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