Das Vermaechtnis des Caravaggio
Oder verbarg sich hinter der
freundlichen Begrüßung eine Falle? Plötzlich musste sie ihren Mantel enger
ziehen, weil es ihr kalt wurde. In den geraden Straßen hing der Nebel wie ein
nasses Tuch. Niemand konnte hinter die hohen, eleganten Häuserfassaden sehen, niemand
beurteilen, ob der Wohlstand, die Wohlanständigkeit des Äußeren sich im Inneren
fortsetzte.
Noch vor ihrer Flucht hatte Minniti
ihnen zu Messina geraten, weil Messina mehr Kenner und Sammler beherbergte, die
seine Art der Kunst schätzten, als Syrakus. Dort sei es für Michele leichter,
Kontakt und Auftraggeber zu finden, hatte er versprochen.
„Sagtet Ihr nicht, wir kämen in der
Herberge der Ritter unter?“
Ohne den Schritt zu verhalten,
drehte sich der Hüne um und lächelte sie wieder breit an.
„Es ist ein Ordenshaus, die
Herberge der Johanniter.“
Selbst Michele schreckte in diesem
Augenblick hoch, aber sein Protest verlor sich in einem heftigen Hustenanfall,
der ihn auf dem Esel krümmte. Bevor Nerina sich wieder in der Gewalt hatte und
dem Hünen aus Augsburg begreiflich machen konnte, dass sie eben dort nicht
untergebracht werden wollten, hielt dieser vor einem Gebäude, dessen lange
Front durch ein Portal durchbrochen wurde, über dem das Zipfelkreuz der
Malteser prangte. Unverkennbar beherbergte das Gebäude Hospital und Herberge
des Heiligen Johannes von Jerusalem.
„Wir sind da. Fra Orazio Torriglia,
der hiesige Komtur des Ordens, erwartet Euch.“
„Aber ... wir können nicht ...“,
flüsterte Nerina, musste aber Michele gleichzeitig vom Esel helfen, da er sich
kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sie musste ihn stützten und knickte
selbst unter seinem Gewicht beinahe ein. Ohne auf Nerinas schwach vorgetragenen
Protest zu achten oder ihr zu helfen, verschwand der Hüne im Torbogen und ließ
die beiden stehen. Kurze Zeit drauf traten vier Ritter auf die Straße, von
denen zwei die Esel wegführten, während der dritte Michele unter die Achsel
griff und Nerina entlastete. Der vierte ging ihnen voraus.
Seit sie vom Esel gestiegen war,
verfluchte Nerina ihre Schwäche. Sie hatte sich nicht gegen die Freundlichkeit
Augsburgers gewehrt, hatte sich von dessen Einladung einlullen lassen. Dabei
musste sie doch immer und überall gewärtig sein, dass der Orden seine schwarzen
Schafe aus der Herde aussonderte, heimlich, still und leise, damit niemand
davon erfahren würde. Vertrauensseligkeit gehörte in ihrer, vor allem aber in
Micheles Situation, zu den Todsünden. Flucht und Versteckspiel umsonst, jetzt
hingen sie im Netz, das die Malteser über Italien ausgebreitet hatten, um seiner
Abtrünnigen habhaft zu werden. Verloren – Michele war verloren. Verzweifelt schloss
Nerina die Augen, bis sie gewahr wurde, dass alle auf sie warteten. Erschöpft
und niedergeschlagen trottete sie hinter dem Ordensritter her, dessen Gewand
sich um einen drahtigen Körper bauschte.
Nerina bedauerte Michele in seinem
Zustand. Mehr geschleppt als auf eigenen Beinen, durchquerte er den Weg in
einen Innenhof, der zu einem vier Stufen höher gelegenen Eingang führte. Dort
stand, im Schatten des Gebäudes, die Arme unter das schwarze Ordenskleid
gesteckt, dessen weite Ärmel auf dem Rücken zusammengebunden waren, Fra Orazio
Torriglia.
Eben wollte Nerina auf die Knie
sinken und darum bitten, Gnade walten zu lassen, schließlich sei Michelangelo
Merisi da Caravaggio nur Maler, und das einer der besten dieser Epoche, als sie
ein kaum wahrnehmbares Kopfschütteln Fra Torriglias bemerkte.
„Ich möchte Euch hier begrüßen,
Messer Caravaggio. Wie man mir erzählte, seid Ihr Mitglied unseres Ordens. Seid
versichert, dass wir alles in unserer Macht stehende versuchen werden, Eure
Gesundheit wiederherzustellen.“
Erst glaubte sie, sich verhört zu
haben, und auch Micheles Körper, der ganz offensichtlich nicht nur aus
Erschöpfung in sich zusammengesunken gewesen war, straffte sich wieder. Alle
Resignation wich aus seiner Haltung, seiner Stimme, als er antwortete.
„Ich danke Euch, Fra Torriglia.
Gebt uns bitte Unterkunft und Leinwand sowie Pigmente, so werde ich mich
dankbar zeigen.“
Ein kaum sichtbares Lächeln huschte
über die Lippen des Komturs. Mit einem Kopfnicken verabschiedete er die Ritter,
die Michele mit sich nahmen. Unschlüssig stand Nerina da und wusste nicht, ob
sie Michele folgen oder bleiben sollte.
„Habt keine Angst. Ihm wird nichts
geschehen. Die Padres werden ihn waschen und salben, ihm etwas kräftigende
Suppe
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