Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
Vom Netzwerk:
die Hand ins
Licht gestellt, als berühre er damit das Licht der Erweckung.“
    Michele ließ den Degen fallen und
drapierte Modelle und Leichnam wieder in die gewohnte Pose, die Nerina an eine
Kreuzigungshaltung erinnerte. Und doch deutete Michele damit so viel mehr an.
Während die linke Hand des Lazarus gen Erde wies, auf den Totenschädel, der
achtlos auf dem Boden herumlag, und noch in leichenhafter Starre verharrte,
streckte sich der rechte Arm bereits ins Licht, berührte er die Flamme des
Lebens und wandte sich grüßend und dankend Christus zu, der mit großer,
triumphaler Geste, obwohl an den Bildrand verbannt, das Wunder vollbrachte und
für Lazarus die Tür zwischen Tod und Leben aufstieß.
    Nerina liebte dieses Bild, weil es
ihr zeigte, dass Michele nicht ganz in der Trostlosigkeit seiner Flucht, in den
Tiefen seiner Ängste versank, die an manchen Tagen so grundlos waren, dass er
sich nicht aus dem Bett wagte und sich unter Decken und Kissen verbarg. In
diesem Bild schlummerte ein Element der Hoffnung, das Wunder der Erneuerung,
auf das er selbst harrte.
    Verschüchtert und mit blutigen
Striemen übersät, hatten die Fischer wieder in ihre Posen zurückgefunden, nicht
freiwillig, sondern unter dem Wutanfall Micheles. Selbst der Genueser Kaufmann
war bis zu ihr zurückgewichen, weil er offenbar befürchtet hatte, selbst vom
Zorn Micheles getroffen zu werden.
    Nerina beugte sich zu ihm hin und
flüsterte ihm ins Ohr.
    „Großen Geistern ist meist
Wunderliches eigen. Könnten sie sonst wunderbare Dinge vollbringen?“
    Mit einem schiefen Lächeln sah er
sie von der Seite her an, und Nerina ahnte, dass er sich in diesem Moment
wünschte, Michele niemals zu diesem Auftrag gedrängt zu haben. Der Vorschuss
von fünfhundert Scudi klimperte jedoch bereits in Micheles Taschen und war
teilweise als Wein seine Kehle hinunter geronnen.
    Aus dem Augenwinkel heraus sah sie,
wie einer der Fischer den Kopf kurz wandte und nach dem Ausgang spähte, aber
schon griff Michele nach seinem Degen, der neben ihm auf dem Boden lag, und
hieb mit einem pfeifenden Geräusch auf den Kerl ein. Nur knapp verfehlte die
Klinge das Ohr des Fischers, ritzte ihm jedoch die Ohrmuschel. Blut begann auf
den Boden zu tropfen.
    „Bleibt aufmerksam, wenn ich Euch
male. Der nächste Hieb lässt das Ohr fallen. Wenn noch ein Stück Schädel dabei
abgeschlagen wird, umso besser, dann habt Ihr Gelegenheit, das Stroh in Eurem
Kopf zu erneuern.“
    „Messer Caravaggio, mäßigt Euch.
Das Bild darf nicht in Blut getränkt sein, weil es für die Cappella principale
in der Chiesa dei Crociferi bestimmt ist. Hilfe sollte das Stichwort sein,
nicht Mord. Hoffnung, nicht Vergeblichkeit. Leben, nicht Tod.“
    Mit verzerrten Gesichtszügen fuhr
Michele zu seinem Auftraggeber herum, schweißnass im Gesicht. Seine Kiefer
malten, als müsse er beständig an seinem Zorn nagen, sein Atem keuchte in
kurzen Stößen, die Knöchel an der Hand, in der er den Degen hielt, liefen weiß
an. Der Genueser Kaufmann überzog seine Kompetenz.
    „Verschwindet“, zischte Michele,
„bevor ich Euch Beine mache.“
    Hochmütig warf de’ Lazzari seinen
Kopf in den Nacken. Formvollendet wirkte die Beherrschung seiner Gefühle. Statt
auf Michele loszugehen, der noch immer mit verzerrtem Gesicht zwischen den
Modellen und dem Kaufmann stand, stellte er sich ruhig hin.
    „Malt das Bild nach Eurem
Gutdünken. Vergesst jedoch niemals, wem Ihr Gehorsam schuldig sein.“
    Damit warf er sich seinen Mantel
über die Schulter und verließ den Raum, das in Duftwasser getränkte Tuch vor
der Nase. Wieder hatte sich Michele einen Feind geschaffen.
    Sobald de’ Lazzari den Raum
verlassen hatte, stellte sich Michele an das Gemälde und malte mit einer
Verbissenheit und Disziplin, dass es ihr unheimlich wurde. Im Grund bedauerte
sie die Fischer in ihren gebückten Haltungen, die nicht über Micheles
Durchhaltevermögen verfügten. Sie trat auf ihn zu und tupfte ihm den Schweiß
aus der Stirn. Er glühte.
22.
    Überall wurde geflüstert, die Köpfe
steckten zusammen, schnelle Blicke schossen in Richtung Michele, der
zusammengekauert und düster neben dem Hausherrn saß, und zu ihr selbst hin, die
sich herausgeputzt fühlte wie eine Gans zum Fest. Kein lautes Wort, kein
Vorwurf. Wenn sich die Blicke kreuzten, nickte man bedächtig und lächelte, wenn
jedoch die Augen einander freigaben, verlor sich das Lächeln, und hinter
vorgehaltener Hand schwirrte ein neues Gerücht durch die Menge,

Weitere Kostenlose Bücher