Das Vermaechtnis des Caravaggio
ganzen Körper hatte sie
gezittert, und Tränen waren ihr in die Augen gestiegen, obwohl sie gewusst
hatte, dass dieser Moment irgendwann hatte eintreten müssen.
Tage später erst war ihr bewusst
geworden, dass sie die treibende Kraft hinter all diesen Verwirrungen gewesen
war, und ihr war das Entsetzen in die Glieder gefahren.
Überheblich geworden durch die
guten Einnahmen Micheles, hatte sie nämlich Pater Leonardus’ Bitte
abgeschlagen. Nein, Michele würde kein Bild malen, für wen auch immer, erst
wenn sich der Kardinal für die Rückkehr nach Rom eingesetzt hätte, wenn die
Begnadigung vor ihnen auf dem Tisch läge, erst dann könne der Borghese wieder
hoffen, hatte sie sich gebrüstet und sich am verbitterten Ausdruck im Gesicht
des Paters geweidet. Wortlos war er gegangen, und sie hatte gedacht, damit sei sein
Drängen beendet. Naiv war sie gewesen, vertrauensselig, ein Schaf. Selbst als
sie Pater Leonardus zusammen mit einem der städtischen Lehrer, Don Carlo Pepe,
gesehen hatte, hatte sie keinen Verdacht geschöpft. Erst als ihr Michele
erzählte, dass eben dieser Don Pepe ihn angezeigt hätte, war in ihr ein erster
Verdacht aufgestiegen.
Micheles Angewohnheit, für seine
Studien an Engeln Schülergruppen zu beobachten, die an Sonntagen die Schiffe im
Arsenal betrachten durften, wo Galeeren gebaut wurden, hatte für Verunsicherung
gesorgt. Mehrmals war sie bei ihm gesessen und hatte seine Skizzen bewundert,
die er von den Jungen anfertigte, schnell und sicher, obwohl die Kinder keinen
Augenblick stillhalten konnten, aber mit ihren Sprüngen und Klettereien Posen
einnahmen, die unvergleichlich waren. Schließlich war es zu einem Zwischenfall
gekommen, der Michele in Rage gebracht hatte. Dem Lehrer, eben diesem Don Carlo
Pepe, war Micheles Interesse an den Jungen aufgefallen, und er hatte es missdeutet.
Nach dem Grund für seine Beharrlichkeit gefragt, hatte Michele ihm eine
entsprechende Antwort gegeben, nämlich einen Fußtritt, durch den der Lehrer
gestürzt war und sich den Kopf aufgeschlagen hatte.
Michele warf sich unruhig hin und
her, sodass Nerina aus ihren Gedanken erwachte und ihn zu beruhigen versuchte,
indem sie mit der Hand sanft über seine Stirn strich. Dann begann sie ein Lied
zu singen, ein Schlaflied, das sie von ihrer Ziehmutter gehört hatte. Langsam
beruhigte er sich, die schnellen Bewegungen des Kopfes verschwanden, das Zucken
der Glieder hörte auf. Wenigstens im Schlaf fand er ein wenig Ruhe, wenn er
sich behütet fühlte. Offenbar konnte sie ihm dieses Gefühl vermitteln. Dabei
war sie nicht seine Mutter, nicht die Tochter, nicht die Geliebte, sondern eigentlich
nur eine Fremde, aufgelesen aus dem Staub Roms – oder doch mehr? So, wie
Michele sie immer wieder betrachtete.
Jetzt wünschte sie sich Enrico
herbei. Einmal wollte sie sich fallenlassen können, nicht daran denken, ob das
nächste Wort, ob das Klopfen an der Tür, die Schritte vor der Kammer Gefahr
bedeuteten oder nur Freunde ankündigten. Wann würde er kommen und sie wieder in
die Arme schließen? Sie zweifelte bereits daran, dass er ihre Briefe erhielt,
die sie nach Neapel schickte und von dort an ihn weiterleiten ließ. Wenn er sie
wiedersehen wollte, musste er sich beeilen.
Nach dem Zwischenfall mit dem
Lehrer Don Pepe hatte Pater Leonardus begonnen, gegen Michele zu hetzten. Ein
Umstand war ihm dabei gelegen gekommen, dass nämlich erst ein Jahr zuvor der
Henker Messinas, der die Aufgabe übertragen bekommen hatte, Männer zu hängen,
die mit Ihresgleichen der Liebe pflegten, wegen desselben Vergehens
hingerichtet worden war. Man duldete diese Spielart der Liebe nicht zwischen
den Mauern Messinas – und eine Anschuldigung dieser Art konnte Michele zum
tödlichen Verhängnis werden.
Erst als Don Pepe den städtischen
Henker benachrichtigt hatte, war Pater Leonardus auf Nerina zugetreten und
hatte ihr mitgeteilt, dass er dann von seiner Anschuldigung lasse, wenn Michele
ihm ein Bild aushändige. Zuerst hatte sie nicht daran geglaubt, dass der Bruder
den Bruder verriet, hatte sich Einmischungen dieser Art verbeten, aber noch am
selben Abend war Michele ins Atelier gestürmt und hatte zum Aufbruch gedrängt.
Keine Minute zu früh, denn während sie das Hospital durch den Hintereingang
verlassen hatten, war der Henker mit seinen Gehilfen zum Vordereingang hereingestürmt,
um sie beide zu holen. Nur die Tatsache, dass sie seit ihrer Ankunft bereits an
eine übereilte Flucht gedacht und Ochse sowie Karren für
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