Das Vermaechtnis des Caravaggio
einen solchen Fall
gedungen hatten, rettete ihnen das Leben. Mit den letzten Bauern verließen sie
die Stadt und schlugen den Weg nach Milazzo ein.
Ob der Johanniter seine Finger mit
im Spiel hatte, ob er die treibende Kraft gewesen war, konnte Nerina nicht mehr
feststellen, glaubte aber, dass Pater Leonardus nur die ausführende Hand
geboten hatte. Einzig beunruhigt hatte sie, dass es diesmal um ihr eigenes
Leben gegangen war, denn der Pater hatte ihr eröffnet, dass der Henker wüsste, dass
sie sich gerne in Männerkleidung zeige. Man wolle also auch sie befragen,
welchen Neigungen sie den Vorzug gebe.
Sie schloss trotz der Hitze die
Arme um ihre Brust und fühlte eine Kälte, die langsam den Rücken hinab kroch.
Der Ruf des Bauern, der den Ochsen
am Zügel führte, schreckte sie auf. In gewundenen Linien ging es hinab nach
Milazzo. Die Mauer wurde sichtbar und dahinter eine Reihe von Schiffen,
Fischerboote zumeist, aber auch die lange schwarze Silhouette einer
maltesischen Galeere.
Sie kroch aus dem Wagen und stellte
sich auf den Kutschbock. Tatsächlich. Vor der Hafeneinfahrt dümpelte zweifellos
ein Ruderschiff, eine Galeere, die am Bug das Zipfelkreuz der Johanniter trug
und am Heck, unter den Ausläufern der beiden Lateinersegel, dieselbe Flagge.
„Halt!“, rief sie dem Bauern zu,
der mit einem Stock den Ochsen antrieb. „Wie weit ist es zum nächsten Hafen,
Bauer?“
„Die Zeit rast derart“, flüsterte
Michele hinter ihr im Wagen, „dass einem schwindlig wird davon.“
24.
„Wie ich sehe, jagen wir demselben
Phantom hinterher!“
Enrico fuhr herum und musste sich
an der Wand der Gasse festhalten. Sein Erschrecken dauerte nur kurz. Dieses
Gesicht, diese Hände, dieser Ring. Wie auf dem Bild aus Peterzanos Bottega, nur
gealtert und verhärmt, vom Hass verzehrt und von Gram verzeichnet. Fra Domenico
saß auf einem Pferd, einem beinahe rein weißen Araber, und beugte sich zu ihm
herab.
„Ich weiß nicht, was Ihr meint,
Herr!“
„Michele Merisi, den sie alle
Caravaggio nennen, ist leider ausgeflogen, weg, fort, weitergezogen. Wie man
hört, geht es ihm gesundheitlich nicht sehr gut. Er fiebert, er fantasiert, und
seine Ausbrüche werden langsam lebensgefährlich für alle, die sich in seiner
Nähe aufhalten.“
Er lachte unmäßig und riss an den
Zügeln des Tieres, das unruhig zu tänzeln begann und Enrico weiter an die
Gassenwand drängte. Vorsichtig wog Enrico ab, wie das Pferd reagieren würde,
wenn er sich zur Mitte der Gasse bewegte, aber da stieg der Araber bereits mit
verdrehten Augen, als fühle er seine Angst. Enrico warf sich zur Seite und
rollte in den Rücken des Johanniters zur Straßenmitte hin. Die Hufe des Pferdes
donnerten gegen die Wand, an der er eben noch gestanden hatte.
„Entschuldigt, aber die Enge der
Gasse!“, rief ihm der Johanniter spöttisch zu.
Dann drehte sich der Gaul auf zwei
Beinen um seine eigene Achse, als wolle er hinter ihm her, und preschte die
Gasse entlang. Im Raum zwischen den Mauern hallte das Gelächter Fra Domenicos
wider.
„Das war knapp, Herr“, bemerkte ein
Korbflechter, der in seinen kleinen Ladenraum geflüchtet war, als Fra Domenico
das Pferd hatte spielen lassen.
Behände erhob sich Enrico und
klopfte sich den Staub aus den Kleidern.
„Allerdings! Ich bin aber kein
Herr.“
Aus den Augenwinkeln heraus
bemerkte er, wie ihn der Korbflechter neugierig musterte.
„Kein Herr? Wie ist das zu
verstehen?“
„Guter Mann, ich stehe in den
Diensten eines Kardinals, stehe also nicht über Euch. Einzig, dass ich studiert
habe. Außerdem“, er blickte auf die Körbe an der Wand und auf einen
angefangenen vor einem Schemel am Boden, „mein Vater kam aus einem ähnlichen
Beruf. Er war zwar kein Korbflechter, aber Bürstenmacher.“
Dass sein Vater eigentlich
Buchbinder gewesen war, musste er dem Mann ja nicht erzählen, und die kleine
Notlüge würde ihm Gott sicherlich verzeihen.
Der Korbflechter hob eine
Augenbraue und setzt sich wieder an seine Arbeit. Ein Lichtstrahl fiel in die
Gasse herab und beleuchtete die eine Hälfte seines Gesichts, und Enrico fühlte
sich für einen Augenblick an die Gemälde Caravaggios erinnert, an das Spiel von
Licht und Schatten, von Hell und Dunkel.
„Was wollte der Ritter von
Caravaggio?“
Erstaunt sah Enrico hoch. Die Frage
brachte ihn zurück in die Gasse Messinas, ins Hier und Heute.
„Ihr kennt Caravaggio?“
„Kennen? Nein. Ich habe nur seine
Bilder gesehen und von ihm gehört. Er malt
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