Das Vermaechtnis des Caravaggio
für uns, fürs Volk. Alle sagen, er
stamme aus einer Familie, die dem Volk nahestand, und das merkt man seinen
Bildern an. Sie gehören uns, nicht den Fürsten und Pfaffen.“
„Ihr mögt recht haben, Mann“,
antwortete Enrico und sah wie der Staub, den das Pferd aufgewirbelt hatte,
langsam sank und den Blick auf die schnurgerade Straße freigab. „Nur muss ich
ihn finden, damit er weitere Bilder malen kann. Wenn dieser wahnsinnige
Johanniter ihn in die Finger bekommt, dann gnade ihm Gott.“
Der Korbmacher betrachtete ihn von
der Seite, als müsse er abschätzen, wie viel man einem Mann erzählen konnte,
der eine Kleidung trug, die nicht älter als ein Jahr zu sein schien und vermutlich
noch jünger war. Enrico nahm die Musterung wahr.
„Ich stehe in den Diensten Kardinal
Gonzagas, mein Freund, wenn Ihr mich so abschätzt. Ich muss Michele Merisi die
Botschaft überbringen, dass seine Begnadigung durch den Papst unmittelbar
bevorsteht. Er soll sich auf den Weg nach Rom machen ... Dazu muss ich ihn aber
erst einmal finden.“
„Ihr hohen Herrn solltet einmal auf
den Puls des Volkes lauschen. Hier unten ist mehr bekannt über den Lauf der
Welt, als Euch oben lieb sein mag. Wer seinem Kutscher Gehör schenkt, erfährt
aus den Erzählungen, wie es ihm geht. Wenn er das weiß, weiß er auch, wie es
vielen ergeht, denen er am Straßenrand begegnet.“
„Zuhören ist eine Gabe, die nur schwer
erlernt wird.“
„Sind wir nicht alle Lernende, ein
Leben lang?
„Ich sehe, Mann, Ihr steht dem
Philosophen näher als dem Handwerker. Wenn nur Eure Körbe ebenso dicht
geflochten sind wie Eure Argumente.“
Ohne aufzusehen, ohne seine Arbeit
zu unterbrechen, erzählte der Korbflechter weiter. Er bog dabei feuchte
Weidenschösslinge um ein Gerippe und klopfte die biegsamen Zweige mit einem
Holzklöppel zu einem dichten Geflecht.
„Es ist egal, wen Ihr hier
ansprecht. Alle wissen, was mit Messer Caravaggio passiert ist, alle wissen, dass
der Pintor vom Senat gezwungen worden war, Bilder zu malen, weil sie alle
verschwiegen, dass er aus dem Johanniterorden ausgestoßen worden war. Dabei
saßen die Schergen des Malteser Großmeisters in den Schenken der Stadt und
fluchten und soffen, weil sie nicht zugreifen durften, solange Fra Torriglia
seine schützende Hand über ihn gehalten hat.“
Dann erzählte er Enrico vom
Johanniterkomtur Fra Torriglia, die Geschichte der Flucht, vom Wutanfall und
vom Gemälde, vom zweiten Auftrag durch die Kapuziner, von Fra Torriglias Wut
auf Micheles Verhalten. Er selbst, so meinte der Korbflechter, glaube wie viele
seiner Kollegen, dass Caravaggio das Bild absichtlich zerstört habe, weil ihm bewusst
geworden war, dass die Fertigstellung des Gemäldes gleichzeitig seine
Verhaftung nach sich zöge. So jedenfalls hätte sich der Maler ausgelassen, wenn
er durch die Osterias gezogen wäre und mit seinesgleichen geredet hätte. Ein
feiner Mann, etwas wirr im Kopf, kränklich, fiebrig, als hätte er die Lungenkrankheit,
aber dem Einfachen wirklich zugetan. Nie habe er es verabsäumt, in einer
Osteria Wein für alle zu bestellen. Das Mädchen, diese Nerina, habe ihn
manchmal geholt wie eine Ehefrau den Mann, wenn er so schwer getrunken hatte, dass
das wenige an gesundem Verstand noch heilloser ineinander gefallen war.
Während der Geschichte begann ein
Korb zu entstehen, denn der Korbflechter erzählte im Rhythmus seiner
Bewegungen. Enrico hatte beschlossen, sich zu setzten, zuzuhören, denn auf den
einen Abend, auf wenige Stunden kam es nicht mehr an.
„Einmal ist er in die Kirche
Madonna del Pilero gegangen. Vielleicht wollte er beichten, vielleicht einfach
nur abkühlen oder sich sammeln. Wer weiß. Meine Nachbarin“, er deutete mit dem
Kinn auf einen Eingang gegenüber, in dem niemand zu sehen war, „meine Nachbarin
bietet den Gläubigen dort Weihwasser an, um den Geist zu reinigen. Fremde
zahlen sogar für das heilige Wasser.“ Er zwinkerte mit den Augen und
schmunzelte über die Dummheit dieser Esel, die eine zusätzliche Einnahmequelle
darstellten. „Es soll nämlich Wunder bewirken.“ Bereits in der Vorfreude auf
die Geschichte, lachte der Korbmacher ein paarmal, während er das Ende eines
Weidenzweiges unter den letzten Flechtring steckte und mit einem scharfen
Messer den Überstand abtrennte.
„Caravaggio, vermute ich, lehnte es
ab, er wollte kein Weihwasser!“
Ungeduldig über den schleppenden
Fortgang der Geschichte, warf Enrico den Satz ein, doch der Korbmacher
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