Das Vermaechtnis des Caravaggio
erreicht die
doppelte Länge eines ausgewachsenen, kräftigen Mannes und ist doppelt so
schwer. Er kommt in Schwärmen an die Küste, alljährlich mehrmals. Monate zuvor
beginnen die Fischer, Netze auszulegen, die bis auf den Grund reichen und ein
Labyrinth aufbauen, Fremder, ein Gewirr aus Wegen und Kesseln und immer wieder
Netzen und Netzen und Netzen, in denen sich ein Schwarm verirrt. Und dann,
eines Tages, wenn Hunderte sich in den Gängen versammelt haben und nicht mehr
ins offene Wasser zurück finden, schließen die Fischer den Zugang und treiben
die Tiere langsam dem innersten Netzkreis zu. Das dauert Tage, oft eine Woche,
aber die Fische sind gefangen. Am letzten Tag, die Thunfische sind nervös, weil
es eng geworden ist, ziehen die Fischer das Netz ganz zusammen und holen jeden
einzelnen Thunfisch mit Haken ins Boot. Hunderte. Unter dem Gewicht der Beute
sinken immer wieder Fischerboote. Eine blutige Schlächterei. Eine Mattanza ist
eine gefährliche Angelegenheit, aber auch ein Strategiespiel. Wenn die Netze
schlecht ausgelegt sind, flieht die Beute und verschwindet im offenen Meer. Versteht
Ihr?“
Langsam dämmerte es Enrico. Mit der
Hand fuhr er sich übers Gesicht und blickte kurz mit geschlossenen Lidern in
die Sonne, sodass rote Flecke vor seinem inneren Auge tanzten.
„Wenn ich Euch recht verstehe,
glaubt Ihr, dass die Johanniter eine Mattanza veranstalten, mit Caravaggio als
Beute.“
„Darüber spricht man in den
Osterias von Messina, Fremder.“
„Und wo ist das innere Netz
ausgelegt worden?“
„Palermo!“
25.
„Hier.“ Mit einer wütenden Geste
warf Papst Paul V. ein Schreiben auf den Tisch, sodass es staubte. „Eine
Beschwerde von Alof de Wignacourt aus Malta, der darüber wettert, dass der
Bischof von Syrakus die Zusammenarbeit mit ihm verweigert. Ebenso geht es mit
dem Komtur von Messina, der Caravaggio versteckt, und jetzt auch noch Palermo.
Erzbischof Kardinal Giannettino Doria, der einen triumphalen Einzug in Palermo
gehalten hat, weigert sich, Caravaggio auszuliefern! Die Kurie in Rom wird zum
Narren gehalten! Wir verlieren unser Gesicht und, was schlimmer ist, die Macht
über den Süden! Überall hinterlässt dieser Kerl, dieser Caravaggio, seine
Bilder wie Kot, der gegen Rom anstinkt.“
Mit der Hand fuhr sich Scipione
Borghese an den Mund und hüstelte, um sich ein Lachen zu verbeißen. Das Bild
gefiel ihm: Bilder wie Kot, der gegen Rom anstinkt.
Sein Oheim lief in seinem
Schreibzimmer auf und ab, um offenbar ein wenig der Erregung Herr zu werden,
die in ihm kochte. Mit dem Kopf folgte Scipione Borghese und genoss dabei, dass
die Farben des Raumes in seinen Augen verschwammen.
„Ich kann Euch versichern, dass
dies der Gipfel seiner Frechheiten ist.“
Papst Paul V. wedelte mit dem
Brief, als wolle er damit andeuten, welcher Art diese Frechheiten seien, aber
er rang nach Luft und Worten. Das Amt schwemmte ihn zu sehr auf und machte ihn
schwerfällig.
„Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass
dieser Siegeszug Caravaggios eine Provokation ohnegleichen ist. Seit
Jahrzehnten bemüht sich der Vatikanstaat um gute Beziehungen zu Sizilien.“
Die durch Eure Anlehnung an die
italienische Fraktion bezüglich Eurer Wahl ins Wanken geraten sind, dachte sich
Scipione Borghese, der nach außen hin freundlich lächelte und den Mund hielt.
In solch einer Stimmung schien es ihm geraten, sich diplomatisch zu verhalten.
Schließlich wusste er um den Spagat, den sein Oheim vollführte. Einerseits
durfte er die italienische Fraktion und damit die wortführenden Franzosen, die
ihn gewählt hatten, nicht verprellen, andererseits musste seine immer stärker
sichtbar werdende Zuwendung zur spanischen Fraktion, ohne die er beispielsweise
Sizilien verlor, nicht deutlich hervortreten, da er sonst Missfallen bei den
Kardinälen weckte, die ihn gewählt hatten. In dieser Hinsicht, das gestand
Scipione Borghese zu, war Caravaggios Verhalten ein Skandal – mit wundervollen
Ergebnissen, wenn stimmte, was Pater Leonardus ihm schrieb.
„Ihr wisst ebenso wie ich,
Scipione, dass Rom ohne Sizilien verhungern müsste. Es ist nicht in der Lage,
sich selbst zu ernähren. Ein Großteil des Getreides, das hier in den Mauern
verbraucht wird, stammt aus Sizilien, das wiederum in spanischer Hand liegt.
Ein von Rom unabhängiges Sizilien aber, das sich auf eigene Traditionen beruft
und auch die Spanier aus dem Land haben will, wäre eine Katastrophe!“ Damit
beugte er sich über den Schreibtisch, um den herum
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