Das Vermaechtnis des Caravaggio
ihm zu.
Mit grober Vorsicht zog Michele sie
aus, wischte ihr den Mund mit einem nassen Lappen aus, der nach Brackwasser
schmeckte, und hob sie im Hemd in ihre Hängematte, die im Raum pendelte.
„Du hättest ihm das Bild nicht
versprechen dürfen!“, zischte er. „Wo ist es? Hier? Sollte es nicht in Neapel
bleiben, als Versicherung? Und was meine Schwester betrifft. Warum hast du
nicht mich gefragt?“
„Ich habe dich gefragt, Michele.“
Ihr fiel das Sprechen schwer, so sehr hatte sie die Übelkeit mitgenommen. „Du
hast mir nur nie geantwortet!“
Wortlos verließ Michele den Raum
und ließ sie allein im Dunkeln zurück. Von der Hängematte geschaukelt,
versuchte Nerina sich zu erinnern. An ihre Kindheit, an ihre Zieheltern, an ...
2.
Drei Nymphen sprangen nackt zwischen
den Feigenbäumen hindurch, bewarfen sich mit gelben, vom Baum gefallenen
Früchten, lachten und schrien, verfolgt von einem Satyr, kaum drei Schritte
hinter ihnen, dessen steil aufgerichtetes Glied bei jedem Sprung wippte. Die
Gruppe fegte durch die Weinpflanzungen des terrassierten Gartens, umrundete die
hohen Zedernstämme, deren Nadeln sich in ihre Füße bohrten, was ihrem Gang
etwas unwirklich Schwebendes gab, und hinter denen sich die Nymphen verbargen.
Endlich bekam der Satyr eine von ihnen unter lautem Kreischen zu fassen,
glitschig und fruchtfeucht, und warf sich auf sie, die sich wehrte, bis sie
sich schließlich seinem Drängen ergab und in immer heftigere kurze Schreie
ausbrach. Endlich wälzte sich der Faun erschöpft von ihr herab und blieb mit
ausgebreiteten Armen und gespreizten Beinen liegen, während sich die anderen
Nymphen leise näherten, sich um ihn herum niederließen und ihn und das
Nymphchen liebkosten.
Von der Terrasse des Palazzo
Cellamare sah Nerina diesem Treiben zu, schüttelte den Kopf und fragte sich,
was in Michele vorgehen mochte, der sich hier, im Sommersitz der Marchesa di
Caravaggio in Chiaia, gebärdete, als sei er in Arkadien und wohne nicht
westlich von Neapel, ganz in der Nähe seiner Erzfeinde. Sollte sie vor Scham
erröten und den Blick abwenden? Sollte sie ihm eine Szene machen, für die sie
keinerlei Grund hatte? Schließlich war sie weder seine Frau noch seine
Geliebte.
Enrico trat von hinten an sie
heran, umarmte sie und küsste sie in den Nacken. Sie bog ihren Kopf zurück und
suchte seine Lippen. Sie fühlte, dass die Szene vor ihnen, die sie beide eine Zeit
lang betrachtet hatten, auch ihn anregte. Längst erwachten die Lebensgeister
des Satyrs wieder unter den Liebkosungen der Nymphen. Mit kreisenden Bewegungen
drängte Nerina sich Enrico entgegen.
„Manchmal“, unterbrach Enrico ihr Spiel,
„wird das Leben zu einem übergroßen Sinnbild unseres eigenen Zustands. Unsere
Wut dem Leben gegenüber wird uns vor Augen geführt.“
„Ich habe das Gefühl, als wäre es
Verzweiflung. Zwar habe ich ihn lange nicht mehr so erlebt, voller Lust und ...
und ...“
„... Lendenkraft!“
Nerina fuhr herum und schlug zu.
Die Ohrfeige klatschte, und Enrico sah Nerina staunend an.
„Dafür, dass du glaubst, ich hätte
je mit ihm geschlafen.“
Beschämt rieb sich Enrico die
Wange, aber im nächsten Moment küsste Nerina ihm den Schmerz aus dem Gesicht.
„Es tut mir leid, aber ich ertrage
es nicht, dass du annimmst ...“
„Ich nehme nichts an“, unterbrach
Enrico sie, etwas kleinlaut geworden.
„Was mir Sorge bereitet, Enrico,
ist, dass Michele sich verausgabt. Sein Fieber kommt immer noch regelmäßig, und
die ausladenden Spiele, die er mit seinen neapolitanischen Huren spielt,
schwächen ihn zusätzlich.“
„Die Aufträge fließen! Er muss
nicht darben, und die Marchesa di Caravaggio unterstützt ihn. Wenn sie nicht zu
alt wäre, würde sie vermutlich mit den jungen Dingern mitspringen und mit
reifen Feigen werfen.“
Zusammen mit den Nymphen, die sich
bei näherem Betrachten zumeist als überschminkt und nicht in bester
körperlicher Verfassung zeigten, jagte Michele durch den Zedernhain. Alle zeigten
auf dem linken Schulterblatt ein Brandzeichen. Es war ein Hinweis darauf, dass
sie allesamt aus den Bordellen der Hafenviertel stammten und einschlägige
Erfahrungen mitbrachten. Zähne und Finger fehlten, manche hinkten, bei anderen
zerliefen die Formen. Heruntergekommene Vergnügungen, ins Vergängliche verwehte
Lust.
„Mich beunruhigt, dass von der
Leichtigkeit, von seiner Lebensfreude nichts in seinen neuen Bildern zu finden
ist, obwohl wir Neapel glücklich erreicht haben,
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