Das Vermaechtnis des Caravaggio
schrie, als würde ihr bei
lebendigem Leib das Herz herausgerissen, dass sie gleichzeitig Michele
verwünschte, nahm sie nur undeutlich wahr.
„Verschwindet mit Eurem Brief,
Michele. Ihr habt den Bogen überspannt!“
„Du hast nicht das Recht dazu, du
hast nicht das Recht dazu, ...“, wiederholte Nerina beständig. Langsam kamen
ihre Lebensgeister zurück, fühlte sie das Blut in ihr Gesicht strömen,
kribbelten Finger und Zehen. Noch lebte sie. Noch schwebte die Sense nur über
ihr, wie sie beständig über allen schwebte.
„Was hast du gemacht, Michele,
was?“
„Deinen Vater, diesen Di Russo,
habe ich getötet, weil er Caterina geschwängert hatte und sitzen ließ.“
Er flüsterte, noch immer die Augen
geschlossen, als wolle er nicht sehen, wie es ihr ging. Seine Stimme sank zu
einem Hauchen herab, sodass sich Nerina konzentrieren musste, um seine Worte
deutlich zu verstehen. „Aber nicht absichtlich. Damals wusste ich nicht, dass
sie ein Kind erwartet hat. Dann hat sie dich weggeben, an eine Truppe
Moritatensänger. Meinetwegen. Ich hätte sie dazu gedrängt, sagte sie, aber ich
glaube, sie wollte mich einfach bestrafen. Erst in Rom habe ich die Truppe
zufällig wieder getroffen, dich entdeckt und erkannt. Am Amulett deines
Vaters.“
„Und sie zurückgekauft? Wusste die
Truppe, wer Nerina war?“
Michele schüttelte den Kopf.
„Nein. Sie wussten nichts. Aber ich
habe Nerina zu mir genommen, als wäre ich ihr Vater.“
Spöttisch verzog Enrico das
Gesicht.
„Um Euer Gewissen zu beruhigen.
Dann lasst sie wenigstens jetzt ihren eigenen Weg gehen, wenn sich schon
bislang kein Mitglied der Familie Merisi wirklich um sie gekümmert hat.“
„Ich habe mich um sie gekümmert.“
„Zu einer Zeit, Michele, als ich es
nicht mehr brauchte.“ Nerinas Stimme klang schwach und tonlos. „Verschwinde
wieder aus meinem Leben, Michelangelo Merisi. Du hast mir meine Kindheit genommen.
Halte dich wenigstens aus meinem Erwachsensein heraus.“
Ohne ein Wort zu verlieren, drehte
sich Michele um und verließ das Zimmer. Er schwankte, als betrete er die
Planken eines Bootes auf offener See.
10.
„Was stand in dem Brief, Nerina?“
„Ich weiß nicht, Enrico. Seit
unserem Streit sind jetzt sechs Wochen vergangen, der Frühling steht im Zenit,
aber mit Michele habe ich nicht mehr gesprochen. Niemand hat mehr Zutritt zu
seinem Atelier, mit Ausnahme der Hafenhuren und seiner Modelle. Kaum dass er das
Atelier verlässt. Er malt und trinkt. Ob er zwischendurch isst, weiß nicht
einmal die Köchin. Sie hat gesagt, die Speisen, die sie ihm vor die Ateliertür
stellt, würden über Tage hin unberührt bleiben.“
Sanft strich ihr Enrico übers Haar.
Er liebte dieses Gefühl, das ihre weichen, seidigen Strähnen verursachten, wenn
er sie durch die Finger gleiten ließ. Seit der Auseinandersetzung mit Michele
trennten sie sich nicht mehr. Nerina war zu ihm ins Zimmer gezogen, und die
Bediensteten der Marchesa Colonna hatten ohne erkennbare Aufforderung das Bett
für zwei Personen gerichtet.
Der Briefwechsel mit seinem Herrn,
dem Kardinal Gonzaga, hatte kaum für Klärung in Sachen päpstlicher Note
gesorgt. Selbst dieser wusste nicht, was der Papst Michele mitzuteilen geruht
hatte, vermutete aber, dass Zeit- und Treffpunkt für die Übergabe eines
Dispenses, einer Begnadigung, und damit der Öffnung der Grenzen Roms für
Caravaggio vereinbart worden waren.
Michele selbst hatte sich
verbarrikadiert. Ob aus Furcht vor dem Johanniter, oder weil er seit ihrem
Streit mit Nerina und ihm nicht mehr sprechen wollte, wusste er nicht. Sogar
angefragt hatte er, Enrico, bei Kardinal Gonzaga, ob er Neapel nicht verlassen
und nach Rom zurückkehren dürfe, aber er hatte den strikten Befehl erhalten,
Caravaggio nicht aus den Augen zu lassen und jedes Bild, das dieser ohne
Auftrag male, aufzukaufen. Eine kleine Truhe Münzen war ihm dafür zur Verfügung
gestellt worden.
Enrico beugte sich über Nerina und küsste
ihren Nacken. Das Schwarz ihrer Haare und die Bräune ihrer Haut spielten
farblich miteinander, selbst dort, wo diese heller geblieben war, weil die
Kleidung üblicherweise den Körper bedeckte. Nerina bewegte sich ganz leicht unter
seinen Liebkosungen, genoss die feinen Berührungen mit den Lippen, das Gleiten
seiner Hände, die über ihren Körper hinweg strichen. Selbst so, auf dem Bauch
liegend, dachte Enrico, wirkt sie begehrenswert und reizt die Sinne.
„Wer bin ich?“, fragte sie ihn, und
Enrico bemerkte, wie
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