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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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du, er wird es verstehen?“
    In Nerinas Stimme schwangen Zweifel
mit. Sie schwankte in der Beurteilung von Micheles Verhalten zu ihrer beider
Liebe. Sie wusste nicht, ob die misstrauischen Blicke, die er ihr zuwarf, wenn
sie aus Enricos Zimmer schlüpfte, Eifersucht bedeuteten oder nur Anzeichen
allgemeiner Sorge um sie waren. 
    Die Zimmertür wurde aufgestoßen und
Michele stürmte herein, den Brief in der Hand.
    „Enrico, du musst das Siegel
erbrechen ...“
    Offenbar kam ihm im selben
Augenblick zu Bewusstsein, was er sah: Dass sie nämlich neben Enrico lag, nackt
unter der Decke und noch mit schweißnassem Haar vom Liebesspiel. Mit seinen
geröteten Augen blinzelte er, als könne er das alles nicht verstehen. Die vom
Wein rot angelaufenen und mit bläulichen Äderchen durchzogenen Wangen erblassten.
Sein Blick wanderte von ihr zu Enrico und zurück, dann meinte er tonlos:
    „Soweit seid ihr also.“
    Ohne auf die Bemerkung einzugehen,
schlüpfte Enrico aus dem Bett und trat auf Michele zu, die Hand ausgestreckt,
um den Brief entgegenzunehmen. Michele rührte sich lange nicht, und wich dann
zwei Schritte zurück.
    „Michele!“, versuchte Nerina ihn zu
beruhigen. Sie bemerkte sehr wohl, dass er gegen seinen Jähzorn ankämpfte, dass
seine Augen wässrig wurden und sein Atem schneller ging. „Ich liebe ihn. Das
weißt du!“
    In hellen Streifen stahl sich die
Sonne durch die halb zugezogenen Vorhänge, als ziehe sie Bänder durch den Raum,
und umgarnte Michele, der tief und stoßweise atmete. So stand er mit einem
Gesichtsausdruck, der Nerina an seinen David erinnerte, als er Goliath gefällt
hatte und die Tat weder triumphierend auskostete, noch so viel Hass aufbrachte,
um den Riesen zu verachten. Auch Michele verharrte in einem Zwischengefühl, das
sich im Widerspruch des Gesichtsausdrucks spiegelte.
    Enrico versuchte Micheles
Verständnis zu wecken und legte ihm die Hand auf die Schulter. Aber der schüttelte
sie ab und brachte nur zwischen zusammengepressten Lippen Gestammeltes hervor,
unverständlich und kehlig, so verkrampft wirkten seine Muskeln. Endlich gelang
es ihm, zumindest die Kiefer beim Sprechen zu bewegen.
    „Ich habe gesagt, Ihr sollt Euch um
sie kümmern, Enrico, nicht sie besteigen!“
    „Michele!“, fuhr Nerina dazwischen.
„Jetzt gehst du zu weit. Wen ich liebe, wen ich in mein Bett hole, kann dir
gestohlen bleiben. Du bist weder mein Vater noch mein Bruder – und mein
Geliebter schon gar nicht. Deine Eifersucht ist geradezu lächerlich.
Schließlich hast du mich nie auch nur einen Augenblick lang beachtet. Für dich
habe ich als Frau noch nicht einmal existiert!“
    Michele betrachtete sie entgeistert,
dann schrillte ein Lachen in ihm auf, schnell, kreischend und hysterisch. Es
bestand aus einer endlosen Folge harter Kicherer, die sich wie eine Perlenkette
aneinanderreihten.
    „Du verstehst nichts, Weib! Nichts
verstehst du. Ich habe dich aufgenommen, dich ernährt, dir das Malen
beigebracht. Und du hast nichts Besseres zu tun, als mit dem nächstbesten
Sekretär eines Kardinals ins Bett zu schlüpfen?“
    Jetzt war es an Enrico, sich
angegriffen zu fühlen.
    „Ihr vergreift Euch im Ton,
Michele. Schließlich hat dieser hergelaufene Sekretär Euch mehr als einmal vor
dem Schlimmsten bewahrt. Gebt her den Brief und dann verschwindet aus meinem
Zimmer.“
    Als hätte Enrico vorgehabt, Michele
den Brief gewaltsam zu entreißen, presste dieser ihn an sich und glitt wieder
zwei Schritte zurück in Richtung Tür.
    „Keiner wird ihn lesen!“
    „Michele, was machst du? Wir sind
auf deiner Seite, das weißt du doch. Helfen wollen wir. Und Enrico ...“
    „Lass mich mit diesem Enrico
zufrieden.“
    Auch Nerina erhob sich jetzt,
hüllte das Laken um ihren Körper und stieg aus dem Bett. Michele starrte sie
an, als sähe er zum ersten Mal in seinem Leben eine halbnackte Frau. Seine
Blicke glitten an ihr herunter, sodass Nerinas Augen ihm unwillkürlich folgten.
Haften blieben sie an zwei Flecken des Linnen, die sich in Höhe ihres Schoßes
dunkel darauf abzeichneten. Verärgert blickte sie hoch. Störte ihn das? Was
wollte er, der jede Nacht mit einer anderen Hure aus dem Hafenviertel
verbrachte, der sich selbst am Tag, während des Malens, über seine Modelle
hermachte und sie begattete, oft im Beisein anderer, als wäre es seine Pflicht?
Ihr wollte er Predigten halten? Sie wollte er belehren, dass sie nicht
dieselben spitzen Schreie ausstoßen dürfe, von denen sie beinahe jede

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