Das Vermaechtnis des Caravaggio
drückten
sie sich in eine Toreinfahrt und warteten, bis sich ihr unbekannter Verfolger
näherte. Als er an ihnen vorüberging, hielten sie den Atem an. Nerina starrte
in die Dunkelheit und versuchte einen Blick auf die Gestalt zu erhaschen, aber
die Nacht war zu schwarz. Nichts war zu erkennen außer einem dichten Schatten,
der sich langsam vorüberschob. Nur in der Luft blieb ein Geruch zurück, der
Nerina bekannt war. Es war der Kerl aus der Osteria.
Als sie sich aus der Toreinfahrt
lösten und auf den Weg zurückkehrten, hörten sie hinter sich das leise
Klatschen von Ledersohlen. Der Unbekannte war nicht abzuschütteln.
„Nerina! Er verfolgt nicht uns,
sondern Euch. Wie ein Schatten klebt er an Euren Fersen! Er steht jedenfalls
seit Wochen vor Eurer Tür.“
„Wie Ihr?“
Enrico blieb stumm.
Die Frage sollte frech klingen,
aber Nerina wurde plötzlich kalt, als sie an den Kerl dachte, der sie auf dem
Markt angesprochen hatte und dann mit Lena zum Tiber hinab verschwunden war.
Durch verwinkelte Gässchen zog Nerina Enrico endlich zum Tiberufer hinunter.
„Riecht Ihr den Tiber? So
kraftvoll.“
Nerina fand den Weg zu ihrem
Lieblingsplatz auch im Finstern. Hier saß sie oft, blickte auf das träge Wasser
des Flusses, in dem sich der Mond spiegelte und in das wie eine Linse die
Tiberinsel eingebettet lag.
Hier hatte sie gesessen, als sie
mit ihren Zieheltern zum ersten Mal in Rom gastiert hatten, Schauspieler und
Gaukler in einem Wagen mit löchriger Plane, gezogen von einem altersschwachen
Klepper. Viele Jahre war das jetzt her. Sie hatten an einem der Plätze ganz in
der Nähe immer ihr Lager aufgeschlagen, und Michele hatte sie vor drei Jahren von
dort aufgelesen. Ihm waren ihre Kulissen und Tafeln aufgefallen, auf denen sie
die Neuigkeiten für ihren Vater aufgemalt hatte. Lange war er vor diesen
Kohleskizzen gestanden, daran erinnerte sie sich, genau hatte er sie betrachtet
und dann war er hinter dem Wagen verschwunden, wo ihr Vater seinen Text für den
Nachmittag memoriert hatte.
Vorsichtig tastete sie sich am Ufer
entlang.
„Ihr wart plötzlich verschwunden,
nachdem die Glocken eingesetzt hatten.“
Enrico lachte leise.
„Nicht ich, Ihr wart verschwunden.
Ich habe Euch überall gesucht.“
„Jetzt habt Ihr mich ja gefunden. –
Wir sind am Ufer. Kommt.“
Sie suchte sich einen der großen
Steine der Uferbefestigung, der sich in der Schwärze dieser Nacht noch dunkler
ausnahm, aus und setzte sich. Dann klopfte sie mit der Hand gegen den Felsen.
Sie hörte, wie Enrico sich herantastete und neben ihr niederließ. Beide
lauschten sie nur dem sanften Rauschen des Wassers, in dem ab und zu ein Fisch
sprang. Damals war Michele ebenso neben ihr gesessen, und sie hatte gedacht,
ihr Vater hätte sie an ihn verkauft, aber dann hatte er von ihren Bildern
gesprochen, von Talent und Kohlestrich, von einem Auge für die Dinge und davon,
ob sie nicht ihre Begabung ausbauen, ob sie nicht bei ihm die Malerei erlernen
wolle. Sprachlos hatte sie seinen Worten gelauscht. Einem Mädchen eine
Ausbildung anzutragen, das grenzte an Schwachsinn – und sie hatte sich sagen
hören, sie nähme sein Angebot gerne an, wenn er eine einzige Bedingung erfülle,
sie nämlich nicht anrühre. Mit ihrem Talent sei nicht gleichzeitig ihr Körper
zu kaufen. Michele hatte damals gelacht und es ihr in die Hand versprochen.
Sogar auf ihr Amulett hatte er damals geschworen, wie sie es gefordert hatte – und
sein Versprechen bisher gehalten.
Sie musste sich zwingen, nicht ganz
in den Erinnerungen zu versinken, schließlich saß Enrico neben ihr, und sein
warmer Oberschenkel drückte gegen den ihren.
„Ihr wolltet mir etwas sagen,
damals, in der Osteria?“
„Ich wollte Euch warnen.“
„Warnen?“
„Eigentlich nicht Euch, sondern
Caravaggio.“
„Was ist mit ihm?“
„Ich weiß auch nicht recht, was
ist, Nerina. Ihr wisst, ich stehe im Dienst Ferdinando Gonzagas.“
„Wir kennen den Vater. Er hat ein
Bild gekauft.“
„Seit Jahren bin ich der Erzieher
seines Sohnes Ferdinando. Eigentlich stamme ich aus Perugia, aber die Studien
trieben mich nach Bologna, Mailand und Mantua. Rechtswissenschaften,
Philosophie, Musik, Sprachen. Alles habe ich mir selbst verdient, als Schreiber
und Abschreiber. Der Herzog von Mantua suchte einen Hauslehrer, und mein Lehrer,
der nach Mantua handgeschriebene Bücher lieferte, empfahl mich. So trat ich in
die Dienste der Gonzaga. Das war vor vier Jahren. Aber ich will Euch nicht
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