Das Vermaechtnis des Caravaggio
Menschen rannten auf die Straße
hinaus, und Nerina und Enrico ließen sich mitziehen, bis sie ihn verlor.
11.
„Er vollbringt Großes, wenn man ihn
drängt!“ Scipione Borghese lachte lautlos und bitter in sich hinein.
Dass Pater Leonardus ihn gerade
jetzt störte, ärgerte ihn, er kam zu einer unrechten Zeit, aber dem Irrsinn der
Diskussion im hinteren Saal zu entfliehen, entspannte ihn. Bis hierher drang
das erregte Gemurmel des heftigen Streits, der im Gange war. Vordergründig tat
Pater Leonardus zwar, als interessiere ihn nur seine Botschaft, versuchte aber
offensichtlich gleichzeitig einige Wortfetzen und Blicke zu erhaschen.
Immerfort musste sich Scipione Borghese daran erinnern, dass er vorsichtig sein
musste, wenn er dem Pater Vertrauen schenkte.
„Die Apostel sind ärmlich gekleidet
und barfuß wie die Karmeliter der Kongregation der Kapelle in Santa Maria della
Scala. Er meinte, wenn das Bild in der Kapelle eines Bettelordens hinge, müsse
man das am Gemälde erkennen können.“
Diesmal lachte Scipione Borghese
lauthals.
„Der Maler ist ein Narr, aber ein
brauchbarer, einer, der seiner Umwelt tatsächlich die Wahrheit sagt. Die
spanische Fraktion wird toben, und die Italiener ihn lieben.“
„Laerzio Cherubini, der Advokat und
Konservator Roms, war einverstanden, Caravaggio den Auftrag zu geben. Er fand
mich überzeugend.“
Aus dem Nebenraum drangen lautstark
die Worte „Papst“, ebenso „Philipp“ und „Tod“ und „Italien“. Aber die einzelnen
Wörter ergaben keinen Sinn für den, der nicht eingeweiht war. Vermutlich würde
Pater Leonardus begreifen, dass es hier bereits um die Nachfolge auf dem Stuhl
Petri ging. Mehr nicht. Man musste den Pater in einer Art Halbwissen halten,
ihm das Gefühl geben, er verstünde, welches Rädchen im Getriebe er war, und ihm
doch das Wesentliche vorenthalten.
Pater Leonardus zuckte zusammen,
als Scipione Borghese sich nahe vor ihn stellte und ihn ansprach. Seine Aufmerksamkeit
galt offenbar nicht ihm, Scipione Borghese, sondern den Gesprächsfetzen, mit
denen dieser Vorraum sich füllte wie eine Brunnenschale.
„Gut, mein lieber Pater Leonardus.
Ihr macht Eure Arbeit vortrefflich. Ist nicht der Kirche Maria della Scala die
Casa Pia in Trastevere angegliedert, in der die Dirnen Roms aufgenommen und
Frauen Unterschlupf finden, die von ihren Ehemännern geschlagen werden?“
„Direkt hinter der Kirche,
Exzellenz!“
„Noch besser. Die beiden Kardinäle,
Benedetto Giustiniani und Tolomeo Gallio, die dafür zuständig sind, gehören der
italienischen Fraktion an. Das wird die Spanier zur Weißglut treiben.“
Scipione Borghese hatte die Hände
hinter seinem Rücken verschränkt und lief im Raum auf und ab. Sein Spiel ging
auf. Offenbar ließ sich Caravaggio für diese Arbeit gut lenken, ahnte nichts
von den Zielen, die mit diesem Bild verbunden waren. Das Konklave ließ sich
damit beeinflussen, ohne dass es einer der Beteiligten auch nur ahnte. Im
Nebenraum wurde plötzlich gelacht, bis ein scharfes Zischen Ruhe gebot. Dann
sprach eine Stimme, die er unschwer als die seines Oheims, Camillo Borghese,
erkannte. Ihr satter, tiefer Klang unterschied sich leicht von den anderen
Stimmlagen.
„Für den Augenblick gerade das, was
wir brauchen. Ihr seid sicher, dass Caravaggio die Jungfrau Maria barfüßig
darstellt? Als Vorlage hat er eine echte Wasserleiche benutzt?“
Pater Leonardus verneigte sich,
weil Scipione Borghese vor ihm stehenblieb und ihn forschend betrachtete.
„Ganz sicher. Ich habe das Bild
gesehen! Eine Skizze vielmehr. Die Maria ist bereits vollständig gemalt.“
„Ich weiß nicht, ob es Mut ist, was
ihn treibt, oder ein Hang zum Scheiterhaufen. Maria barfüßig. Ein ketzerischer
Gedanke, eine Heilige, die Heilige der Mutter Kirche schlechthin, als Bauernmagd
zu malen. Jetzt gilt es, das Bild ins Gespräch zu bringen, mein lieber Pater
Leonardus. Es muss öffentlich werden, ein Skandal!“
Wieder verneigte sich Pater
Leonardus.
„Es wird Geld kosten, Exzellenz.“
„Ihr hattet für die Erteilung des
Auftrags und für Euren Handlanger Geld bekommen ...“
„... das ganz an Caravaggio und den
Johanniter geflossen ist. Ersterer kennt seinen Wert, aber er malt nicht, um
Reichtümer anzuhäufen. Es war zudem nicht billig, jemanden zu finden, der den
Maler aus seiner Lethargie reißt und ihn zwingt, sich hinter die Staffelei zu
stellen.“
„Gut, Pater Leonardus, Ihr werdet
reichlich erhalten. Aber beeilt Euch. Treibt ihn
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