Das Vermaechtnis des Caravaggio
Natürlich, weil Ihr das Bild gekauft habt, weil Ihr Euch
an der Darstellung dieser ... dieser Maria weidet ...“
„... die unsere ehrwürdige Mutter
Kirche in ihrer jugendlichen Kraft nach dem Sieg über den teuflischen
Protestantismus verkörpert ...“
„... Schweigt! Sie wurde als Hetäre
gemalt, und zum Vorbild nahm er eine stadtbekannte Hure. Und um das Maß voll zu
machen, stellte er das Christuskind als Apoll dar, nein, noch schlimmer, als
Cupido, was ein ganz anderes Licht auf diese sogenannte Maria wirft!
Schändlich! Statt den Akt des Zertretens – wenn man dem Manne noch Verständnis
entgegenbringen will – in den Mittelpunkt zu rücken, wurde ihr Dekolleté, die
Fruchtbarkeit der Mütter, durch das Licht hervorgehoben. Doppelt schändlich und
ketzerisch.“
Hinter vorgehaltener Hand musste
Scipione lachen. „Ich habe das Bild von den Palafrenieri geschenkt bekommen und
nicht gekauft!“, versuchte er einen versöhnlichen Ton zu finden und sein Lachen
so elegant wie möglich zu verstecken, was ihm nur unzureichend gelang. Was er
hier hörte, waren Fantasien und Hirngespinste eines alternden Mannes. Regte der
Frühling, der allenthalben im besten Safte stand, auch die Säfte des
Kirchenoberhaupts an und kämpfte er gegen diese Versuchung an? Versah Romina
Tripepi, seine Hetäre, ihre Aufgabe nicht?
„Muss mich das interessieren?“, konterte
Camillo Borghese.
„Aber, Oheim, selbst Peter Paul
Rubens hat Caravaggio gelobt und sich für den Erhalt des Marientodes
eingesetzt, der von den Karmelitern abgelehnt wurde. Aus Dankbarkeit für die
religiöse Bewältigung des Themas und als Beispiel für alle jungen Künstler ließ
er das Bild öffentlich ausstellen.“
„Unsinn, er wollte damit
verhindern, dass es zerstört wird, und Ihr wisst das genau. Das Schlimmste
daran ist die Haltung meiner Kardinäle. Statt das Bild zu verteufeln, streiten
sie sich darum, wer es sein nennen darf, Barberini, Del Monte, Ihr. Bemühe ich
mich um die Ausgestaltung der Peterskirche zum Zentrum unseres Glaubens, indem
ich das hinauswerfen lasse, was ich als ketzerisch betrachte, damit ich mir mit
diesem Caravaggio wieder eine Laus in den Pelz setze? Nein. Beseitigt ihn,
Scipione, oder ich lasse ihn beseitigen!“
Durch den Innenhof des
Vatikanpalastes liefen sie nebeneinander her im Kreis um einen Brunnen. Sein
Plätschern verhinderte, dass ihr Gespräch belauscht werden konnte. Das erste
Grün roch bereits herb, und die Blumen des aufbrechenden Frühlings sandten
ihren Duft aus. Bienen summten um die Blüten, eine erste Libelle jagte in
eleganten Schwüngen die Sträucher entlang, und über eine Mauer herüber erklang
das Gebell von Hunden.
„Ihr übertreibt, Oheim. Schüttet
das Kind nicht mit dem Bade aus.“
„Keineswegs, Scipione.“ Bedrohlich
leise klang die Stimme Camillo Borgheses. Offenbar beschäftigte ihn dieser
Maler mehr, als Scipione bewusst war. „Ich hatte ein knappes halbes Jahr Geduld
mit Euch und mit diesem Irrwisch, auch weil Ihr an diesem Menschen einen Narren
gefressen habt und Kardinal Del Monte als einer seiner Gönner mich immer wieder
bedrängt hat. Man sieht seinen Steigbügelhaltern durchaus Fehler nach. Aber in
diesem halben Jahr hat sich Caravaggio eine Entgleisung nach der anderen
geleistet. Manchmal kommt es mir vor, als verbringe er mehr Zeit im Gefängnis,
auf den Polizeiwachen und in den Gerichtssälen Roms, als hinter seiner
Staffelei. Schlägereien, Pöbeleien, unerlaubtes Tragen von Waffen,
Messerstechereien, Beleidigungen, Unruhestiftung, wenn er betrunken ist, und
die Liste wäre noch längst nicht zu Ende. Was ist der Kerl, ein notorischer
Säufer und Wegelagerer oder ein Künstler? Man spottet schon über mich, dass ich
über den Hurenbauch der Maria Caravaggios den Stuhl Petri bestiegen hätte.“
Mit einer nachlässigen Bewegung
hielt Scipione Borghese eine Hand in den Strahl des Brunnens und spritzte sich
kühlendes Wasser aufs Gesicht. Sein Oheim hatte zweifellos recht. Wie einen
Spielball warf es Caravaggio die letzten Monate hin und her, und er ergötzte
sich an Ungehobeltheiten und Raufereien. Aber mit einem hatte sein Oheim
keineswegs recht. Caravaggio malte, malte im Auftrag aller möglichen
Institutionen die schönsten Werke – und er, Scipione Borghese, versuchte, sie
seiner Sammlung einzuverleiben. Unzufriedene stillte er aus seinem persönlichen
Säckel – und seine Galerie erweiterte sich um wertvollste Gemälde, die von den
Dummköpfen seiner Umgebung
Weitere Kostenlose Bücher