Das Vermaechtnis des Caravaggio
nur nicht als solche erkannt wurden: einen weiteren
Hieronymus, einen David, der das Haupt des Goliath in Händen hielt, und einen
Johannes den Täufer als Hirten. Ja, dieser Caravaggio lebte ein ungestümes
Leben, ein Leben, das nicht in den geordneten Bahnen verlief, die man seinem
eigenen gerne gab.
„Er ist alles zusammen. Ich denke
mir, Oheim, dass nur Menschen, die aus jeglicher Form herausfallen, die alles
Normale einfach über Bord werfen, zu ungewöhnlichen Leistungen befähigt sind.
Nur sie weisen in die Zukunft.“
„Dann sieht Eure Zukunft düster
aus, Scipione. Ein Ort, an dem der Mensch dem Menschen ein Wolf sein wird,
indem er den anderen erschlägt. Ein dauerhaftes Kriegstreiben, das von der
Angst genährt wird, die Straße zu überqueren, weil aus dem Dunkel eines
Eingangs der nächste Mörder hervorspringen und einen niederschlagen kann. Da
lobe ich mir doch die Doktrin der Kirche, die darauf baut, dass nur die Angst
der Gläubigen vor der ewigen Verdammnis ausreichend geschürt werden muss, damit
hienieden Ruhe herrscht.“
Scipione, dem das Lamentieren des
Oheims auf die Nerven ging, musterte ihn neugierig. Seit er ihn nicht mehr
gesehen hatte, musste er gut zu leben verstanden haben. Die üppige Kost des
Kirchenoberhaupts hatte aus dem abgemagerten Gesicht in den letzten Monaten ein
feistes und rundes geformt. Die tiefen Einschnitte auf den Wangen waren einer
beinahe faltenlosen Haut gewichen. Von der Warte des Satten und moralisch
Gefestigten aus ließ sich leicht über Grenzgänger wie Caravaggio urteilen. Was wusste
sein Oheim außerdem von seinen Versuchen, die Exzesse Caravaggios einzudämmen,
ihn in den Griff zu bekommen, damit er arbeitete? Seine Intelligenz ließ der
Maler ebenso spielen wie seinen Jähzorn. Niemand, buchstäblich niemand konnte
ihn dazu zwingen, ein Bild zu malen, selbst wenn er am Hungertuch nagte. Einen
Krug Wein, der ihm zum Leben offensichtlich ausreichte, erbettelte er sich
allemal.
Und dann wieder konnte er, wie
Pater Leonardus erzählte, ganze Nächte hindurch vor der Leinwand sitzen, ohne
den Pinsel abzusetzen, sodass er irgendwann erschöpft zusammenbrach und
inmitten seiner Farben einschlief.
„Oheim, wir sollten noch über ein
anderes Problem miteinander reden. Es betrifft Caravaggio nur indirekt.“
Sein Oheim nahm auf einer
steinernen Bank Platz. So konnten sie sich an dem vom Sprühregen eines Brunnens
gebildeten Regenbogen erfreuen. Die Tritonen, aus deren geöffnetem Maul feine
Wasserfontänen spritzten, erschienen Scipione Borghese wie die Verkörperung des
Schweigens. Aus diesen Mündern konnte kein Wort entspringen.
„Worum geht es?“, Paul V. runzelte
die Stirn, als Scipione zögerte. „Sprecht, Scipione, egal was es sei.“
Scipione Borghese wusste nicht
recht, wo anfangen. Sein Problem konnte er nicht einfach so erklären, weil er
es selbst nur am Rande miterlebte und eigentlich nicht recht dran glauben
konnte.
„Ich habe Euren Befehl missachtet
und Caravaggio unterstützt. Jedenfalls habe ich versucht, ihm Aufträge zu
verschaffen, z.B. die Madonna dei Palafrenieri oder den Auftrag des Herzogs von
Modena. Caravaggio hat sich dieser Angebote unterschiedlich angenommen.“
Selbst jetzt verspürte Scipione
keine Lust, dem Oheim alle seine Schliche zu offenbaren, einige wenige würden
für sein Vorhaben ohnehin genügen.
Paul V. schlug sich wütend auf den
Schenkel. „Noch ein Grund, diesen Caravaggio aus Rom hinauszuschaffen. Wie kommt er dazu,
Geld von einem meiner treusten Parteigänger anzunehmen, und dann das Bild nicht
zu malen und den Herzog von Modena immer wieder zu vertrösten? Massetti, das
Ohr des d’Este an meinem Hof, ist längst bei mir aufgetaucht und hat um Beschwerde eingereicht.“
Scipione Borghese erhob sich. Er
wollte nicht wieder in dieses Fahrwasser geraten, sich aber auch nicht von der
allzu lieblichen Regenbogenansicht des Brunnens betören und ablenken lassen.
„Bleibt sitzen, ehrwürdiger Vater,
ich kann im Gehen besser denken. Dass ich an manchen dieser Kontakte beteiligt
war, habt Ihr vielleicht geahnt, jetzt wisst Ihr es. Der junge Gonzaga
behauptet nun, durch eine zuverlässige Quelle erfahren zu haben, dass ich die
Gerüchte über Caravaggios Lebensweise und über seine Schwesternschändung in die
Welt gesetzt habe. Außerdem will er gehört haben, dass die Menschen auf der
Straße Euch dafür verantwortlich machen, dass Caravaggios Bilder abgelehnt
werden.“
Plötzlich hielt es auch
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