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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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eigene
Tafeln. Dafür besaß die Compagnia aber kein Geld, obwohl sie Michele großzügig
entlohnen wollte. In Neapel wollte man Neues schaffen, die Armenfürsorge
bündeln. Die Stadt fühlte sich verantwortlich für den gesamten Menschen.
Während die Jesuiten für die geistige Hilfe zuständig waren, gewährte die
Compagnia den Armen weltliche Hilfe. Michele sollte für diese ganz auf die
Physis des Menschen bezogene Bereitschaft eine bildliche Legitimation liefern.
Wie diese allerdings aussehen konnte, wusste nicht einmal er selbst.
    Besonders geärgert hatte sich
Nerina, dass sie ihm Modell für die Caritas Romana hatte stehen müssen, mit
halb entblößter Brust, die sie einem Greis auf dem Bild reichte, der seinen
Kopf zwischen den Gitterstäben seines Kerkers hindurchzwängte, um sich an ihrer
Milch zu laben. Sie kannte die Legende von Cimon und Pero, der Tochter, die
ihrem alten Vater durchs Kerkerfenster die Brust reichte, damit er überlebte.
Sie wusste um die Bedeutung, die für die Speisung der Hungernden und die Sorge
um die Gefangenen stand, aber ihr hatte es nicht gefallen, dass sie sich hatte zur
Verfügung stellen müssen. Es hätte genügend andere Modelle für diese Szene
gegeben. Warum hatte er gerade sie dafür gewollt?
    In diesem Moment kratzte sich der
Fremde eigenartig mit dem gekrümmten Mittelfinger am Kopf, und Nerina wurde von
dieser Bewegung magisch angezogen. Sie konnte ihre Augen nicht mehr davon
abwenden. Für einen kurzen Moment sah er hoch, und ihre Blicke trafen sich zum
ersten Mal, und sofort wehte ein eisiger Hauch durchs Atelier. An der hellen
Farbe seiner Iris, an dem kalten, beinahe leblos grauen Blick, erkannte sie
jetzt unzweideutig den Mann, der sie auf dem Fischmarkt bereits verfolgt und
belästigt hatte. Niemals würde sie ihn vergessen. Nur jetzt trug er einen Bart,
was sie kurz irritiert hatte.
    „Hier.“ Michele deutete auf die
Szene, über die sich Nerina eben geärgert hatte, und forderte wieder ihre
Aufmerksamkeit. „Hier müsst ihr in einem Bild die tiefe Sorge der Tochter um
den Vater mit ihrem inneren Kampf zusammenführen. Es ist ihr natürlich unangenehm,
weil sie als junge Frau den alten Vater mit ihrer Milch säugen muss. Im Gesicht
der Pero müssen sich Aufopferung und Abscheu mischen. Euer Modell darf sich
nicht über den Auftrag freuen, die Brust zu entblößen, sie muss sich dafür
schämen – und Euch doch ausreichend Zutrauen entgegenbringen.“
    Verwundert sah Nerina Michele an,
der sich vor der Skizze des Gemäldes aufgebaut hatte. Jetzt erst ahnte sie,
warum er gerade sie für diese Aufgabe ausgesucht hatte. Natürlich. Ihr
Widerwille hatte ihn gereizt. Sie hatte für ihn gleichzeitig Vertrauen und
Abneigung verkörpert.
    Langsam erhoben sich die jungen
Maler und scharten sich um das skizzierte Bild, das nicht mehr als die
Pinselstielvorzeichnung und einige Grundierungen in dunkler Farbe aufwies.
Michele erklärte sein Vorgehen, erklärte, dass er sich vorgenommen habe, die
allegorischen Verkörperungen in einen Handlungsablauf zu übersetzen.
    Die Bestattung der Toten solle
durch eine Leiche angezeigt werden, die durchs Bild getragen werde. Der Heilige
Martin solle seinen Mantel mit dem Bettler teilen, für die Betreuung der
Obdachlosen stünden Christus und die Jünger auf dem Weg nach Emmaus, denen ein
Wirt die Herberge weise. Samson trinke aus einem Eselskinnbacken und
repräsentiere so die Dürstenden, die getränkt würden. Links unten, ganz im
Dunklen versteckt, liege sogar ein Kranker, der auf tätige Hilfe warte. So
würden die sieben Werke der Barmherzigkeit, die den Evangelien entnommen und im
Katechismus verankert seien, umgesetzt. So könne er sich aus der Unmöglichkeit
befreien, alle sieben Werke in einem einzigen Werk zu vereinigen. Dass die
Bruderschaft, die Compagnia, auch noch ein achtes Werk, nämlich den Rückkauf
christlicher Sklaven aus moslemischer Gefangenschaft betreibe, habe er selbst
nicht mehr aufgegriffen, weil es im biblischen Kanon nicht enthalten sei.
    „Und die Madonna? Habt Ihr sie aus
dem Bild verdammt, weil sie im Gewirr der Körper und Umhänge keinen Platz mehr
findet? Gehört die Madonna della Misericorda nicht zum Programm? Wohin habt Ihr
sie gesteckt, Caravaggio?“ Nerina sah, wie sich die Lippen Salvatores
kräuselten, als er den Satz formulierte und in den Raum stieß. „Was Ihr uns als
Komposition verkauft, werter Caravaggio, ist ein unübersichtliches Wirrwarr
ohne jeglichen

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