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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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dazu.
    Über drei Wochen lang kam der Kardinal zu ihnen, stets von seinem getreuen Silvio begleitet, mit dem er oft tuschelte und so tat, als würde er nicht zuhören. Dann stellte er plötzlich Fragen an Gua Li, um mögliche Unstimmigkeiten oder Widersprüche in ihrer Geschichte aufzudecken. Die Antworten der jungen Frau waren jedoch stets freundlich und gut durchdacht, und so konnte er nur immer wieder schweigend zustimmen. Oft war der Kardinal überaus nervös, kaute an seinen Fingernägeln und fragte ohne Unterlass nach Wasser. In einem wertvollen Amethystkelch, der aus der Sammlung seines Vaters stammte, wurde dem Kardinal dann das Wasser gereicht, das von Silvio persönlich vorgekostet wurde.
    Noch nie hatte die Grazie einer Frau seine Aufmerksamkeit erregt. Aber Gua Lis ruhiger, milder Tonfall ließ ihn ab und an in die glücklichen Tage seiner Kindheit abschweifen, wenn er abends nach Beendigung seiner Studien zu seiner Mutter Clarice gehen durfte. Und sogar in der Blasphemie der Geschichte, die diese junge Frau erzählte und für die sie – wenn sie erst einmal den Palazzo Colonna verlassen haben würde – mit einem grausamen Tode bestraft werden würde, fand er doch die mütterliche Botschaft der reinen Liebe wieder. Er stellte sich vor, wie er immer wieder die Beine des Inquisitors umklammerte, um Gnade für diese Frau zu erflehen, die seiner Mutter so ähnlich war; genauso wie er es bei seinem Vater Lorenzo getan hatte, der seine Frau als römische Hexe bezeichnet hatte. Die Antwort auf seine kindlichen Gebete war eine schallende Ohrfeige gewesen, die ihn noch heute schmerzte. Je länger er den Worten lauschte, die Gua Lis Mund entströmten, desto weniger hielt er sie für erfunden und desto inniger fühlte er sich ihr verbunden. Und doch wartete er auf nichts so sehr wie darauf, sich im richtigen Moment von ihr befreien zu können. Diese Trennung aber war zugleich das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte.
    Gua Li nahm die Geruchsschwankungen des Kardinals wahr, doch sie waren nicht eindeutig. Als wäre die Mandel im Kern unsicher, ob sie zur Reife keimen oder am Baum verfaulen solle. Sie spürte Ferruccios Groll gegen Giovanni de’ Medici und wünschte sich, eine Brücke zwischen den beiden bauen zu können. So wie das geplante Bauwerk über die Wasser des goldenen Horns, das ihr Leonardo am Hofe des Sultans gezeigt hatte. Doch die Kluft zwischen den beiden Männern war noch größer als die Kluft zwischen den Ufern.
    Es war September, und den ganzen Tag lang hatten dicke weiße Wolken hinter den Bergspitzen miteinander Fangen gespielt und mal die Form eines Bären, eines Affen oder eines Pferdes angenommen. Hoch oben in den Lüften wurden sie wissend von den majestätischen Kranichen betrachtet, die mit ihren eleganten Schwingen davonschwebten wie die Samen der Pusteblume, die durch die Lüfte der Winde getragen werden. Am Abend war von den wirbelnden Winden nur noch eine leichte, kühle Brise übrig geblieben, und so hatten sich die Menschen wieder in großer Zahl vor dem Hause Īsās versammelt und Feuer entzündet.
    »Sie erwarten dich«, sagte Gaya. »Ich frage mich, was du ihnen heute Nacht erzählen wirst.«
    »Nichts, was du nicht schon kennst«, antwortete Īsā lächelnd.
    »Dann werde ich dich unter der Bettdecke erwarten und mich bis zu deiner Rückkehr von Yuehan und Gua Pa wärmen lassen.«
    »Ich werde über etwas sprechen, das ich dir noch nie erzählt habe, und ich überlasse es deiner Neugierde, ob du kommen willst oder nicht.«
    Liebevoll betrachtete ihn Gaya. Sie fasste sich an ihren Leib, denn sie glaubte, dass in ihr ein drittes Kind ruhte, denn der Zyklus ließ auf sich warten.
    »Das ist Erpressung«, sagte sie und trat zu Īsā, »und was bleibt mir anderes übrig, als dir nachzugeben?«
    Īsā fasste seine Frau an den Hüften und zog sie an sich. Er schloss die Augen und roch an ihrem Haar, das nach Azaleen duftete.
    »Ich werde dein Lächeln aufspüren, wie es die Klapperschlange mit dem Murmeltier macht, und du wirst mir verzeihen. Zuerst werde ich mit dem Schwanz rasseln, und wenn du dich neugierig näherst, wird sich mein Körper um dich winden.«
    »Dein Körper, der sich um mich windet, gefällt mir – aber jetzt ist nicht der richtige Moment dafür.« Gaya befreite sich aus der sanften Umarmung ihres Mannes. »Gehen wir – sonst lassen sie uns die ganze Nacht lang nicht in Ruhe.«
    Als die beiden vor das Haus traten, ging ein freudiges Raunen durch die Menge,

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