Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
kindlichen Ärmchen würde er höchstens ausgelacht, aber niemals ernst genommen werden. Hinter ihm stand Carnesecchi – nicht mehr ganz in der Blüte seiner Jahre –, doch seine Haltung hoch zu Ross und das tief hängende, für jeden gut sichtbare Bohrschwert verrieten, dass er mit dem Gebrauch von Waffen noch überaus vertraut war. Der dritte Mann im Bunde schien der gefährlichste unter ihnen. Seine zarten Gesichtszüge und die langen blonden Haare standen in augenscheinlichem Kontrast zu seinem muskulösen Körper und der schweren Streitaxt, die er in einem Futteral auf seinem Rücken trug. Dass sich hinter diesem stolzen und selbstbewussten Blick ein Novize der Franziskanermönche verbarg, der sich des Nachts gar in einen zärtlichen und leidenschaftlichen Liebhaber verwandeln konnte und bereit war, seinem Beschützer alle Wünsche zu erfüllen, ahnte niemand, der ihm begegnete.
Auf einen Wink des Kardinals schrie der blonde Jüngling den Wachen etwas zu. Mit seiner hohen Stimme übertönte er mit Leichtigkeit das Stimmengewirr.
»Ich bin Silvio Passerini, und dies ist der hochwohlgeborene Fürst Kardinal de’ Medici. Möge der Hauptmann hervortreten!«, befahl er. »Ohne zu zaudern!«
Ein älterer Mann mit langem weißem Haar, das im Nacken von einem Lederband zusammengehalten wurde, kam langsamen, aber festen Schrittes auf sie zu und baute sich vor ihnen auf. Er schaute den dreien ins Gesicht, einem nach dem anderen. Dann gab er das Zeichen, sie durchzulassen. Ein wohlgesetzter Huftritt von Carnesecchis Ross nach hinten katapultierte einen der herumlungernden Bettler kopfüber in den Staub, was von den anderen mit Hohn und Spott quittiert wurde. Ein strenger Blick des alten Hauptmanns reichte jedoch aus, um dem Treiben umgehend ein Ende zu setzen.
Wenige Minuten später stiegen die drei eine breite Nebentreppe zu den Gemächern des Fürsten Colonna hinauf. Noch bevor sie die Schritte hörte, nahm Gua Li einen säuerlichen und penetranten Geruch wahr. Sie schloss die Augen und sah die grünen und stacheligen Blätter des Stechapfels, das Kraut des Todes. Nur Hexen und Schamanen wussten, wie man sein Gift dosieren musste, um schwarze Magie zu treiben oder einen Blick in die Zukunft wagen zu können. Giovanni de’ Medici ließ sich von Passerini die Tür öffnen. Ferruccio erstarrte, und Gua Li sah, wie seine Halsadern anschwollen und sich seine Lippen und Hände verkrampften.
» Ego benedico vos in nomine Patris, Filii et Spiritus Sancti, ich segne Euch im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.«
Meister Leonardo näherte sich, kniete vor dem Kardinal nieder und küsste seinen Ring.
»Monsignore, seit langer Zeit wünsche ich mit Euch zu sprechen. Ich habe Pläne, die ich Eurer Aufmerksamkeit unterbreiten möchte. Ich plane eine gigantische Armbrust, welche die stärksten Tore durchdringen und die dicksten Mauern zerstören kann. Und einen Karren mit einem Dach, der sich ganz ohne Pferde fortbewegt und mit mächtigen Schusswaffen in seinem Inneren ausgestattet ist.«
»Von allen Seiten werden mir Gerüchte über Eure Teufeleien zugetragen, doch dieser Waffenkarren, der sich von selbst bewegt, ist nun wirklich gar zu abenteuerlich!«
»Nicht nur das, Monsignore. Ich schwöre bei Gott, dass er auch wunderbar funktioniert. Weiterhin habe ich Bombarden aus Eisen erfunden, deren Kugeln, wenn sie auf dem Boden landen, explodieren und strahlenförmig kleine Kügelchen verstreuen. Sie zerschlagen jeden Feind, der sich gerade in der Nähe befindet.«
»Welch großer Eifer!« Der Kardinal zwickte ihm väterlich in die Wangen. »Bewahre ihn dir für andere Gelegenheiten – über die wir vielleicht in vertraulichem Rahmen sprechen sollten. Und was sagt Sforza über Eure militärischen Erfindungen?«
Leonardo schüttelte den Kopf.
Ferruccio wollte sich von seinem Stuhl erheben, doch Ada Ta gebot ihm mit seinem Stock Einhalt. Gua Li machte zwei Schritte auf den Kardinal zu und legte als Geste des Friedens ihre Hände aneinander.
»Der Mann des Friedens sei gelobt«, sagte sie. »Denn nur dort, wo Frieden herrscht, kann es auch Liebe geben.«
Giovanni musterte sie, während Silvio, der Ferruccios reflexartige Bewegung bemerkt hatte, sich neben dem Kardinal positionierte. Neugierig betrachtete der Kardinal die junge Frau, doch der alte und schmächtige Mann, der lächelnd hinter ihr stand, beeindruckte ihn noch mehr. Der enttäuschte florentinische Gelehrte hatte sich schon entfernt und
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