Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
in den Wachraum. Er nahm sich den Helm ab und steckte seine Hellebarde in den Lanzenständer. Das Wetter verfluchend stellte er sich vor das Kaminfeuer, stampfte mit den Füßen und ruderte mit den Armen, um sich aufzuwärmen. Dabei sah er sich um: Einige seiner Kumpanen schliefen, andere bereiteten sich auf eine verspätete Wachablösung vor und zogen sich ihre mit Wachs überzogenen Mäntel an, um sich vor dem Regen zu schützen, der seit drei Tagen unerbittlich niederprasselte. Die anderen waren am Würfeln.
»Wenn ich trocken bin, komme ich dran!«, schrie er. »Heute hole ich mir alles zurück, ihr dreckigen Falschspieler, ihr!« Vom Spieltisch kam ein Zinnbecher angeflogen, der ihn nur knapp verfehlte; Grimassen wurden geschnitten und vage Andeutungen über das Gewerbe seiner Mutter gemacht.
»Bevor du dein letztes Geld verlierst, geh und schau nach unserem Gast, beeil dich.«
Der Hauptmann der Wachen gab seinem Befehl Nachdruck, indem er mit seiner Armkachel krachend gegen die Tür schlug. Der Soldat gehorchte umgehend.
Im Kerker konnte man das bedrohliche Rauschen des Tibers hören, der bereits die erste Hochwasserstufe überschritten hatte. Er nahm eine Kupferlaterne und richtete ihren Lichtschein auf die erste der drei Zellen. Der Gefangene war immer noch dort, regungslos und nackt hockte er da wie die Statue des heiligen Sebastian. Etwas rieb sich an seinen Beinen.
»Sisto, was willst du?«
Der Kater maunzte inständig und strich ihm ein paar Mal um die Stiefel, rieb seinen Kopf an ihnen und schnurrte. Dann ging er mit hoch aufgerichtetem Schwanz davon, kam kurz darauf zurück und legte ihm eine Ratte mit durchgebissener Kehle zu Füßen.
»Gut gemacht, meine Bestie.«
Als der Soldat gegangen war, streckte Ada Ta seine Muskeln aus und widmete sich erneut seinen Betrachtungen. Der Papst war wütend geworden, als er ihm erzählt hatte, dass der Kardinal im Besitz des Buches war. Das war ein gutes Zeichen. Nun konnten zwei Dinge geschehen: Der Kardinal würde dem Pontifex die Wahrheit erzählen, also dass er nicht im Besitz des Buches sei. In diesem Fall würden sich die beiden Feinde vereinen, um sich an ihm zu rächen. Wenn der Kardinal den Pontifex jedoch in dem Glauben ließe, das Buch zu besitzen, würde ihm nur der Papst einen Besuch abstatten und ihm damit zu erkennen geben, dass sich die beiden in einem Wettstreit miteinander befanden. Würden sie sich jedoch vereinigen, um gemeinsam an das Buch zu kommen, so wäre es äußerst unwahrscheinlich, dass sie gerecht miteinander teilten. Er stimmte vollkommen mit dem überein, was Aristoteles sagte: Eine wahrscheinliche Unmöglichkeit ist immer einer wenig überzeugenden Möglichkeit vorzuziehen.
Leider gab es ein Problem bei dieser ganzen Sache: Er hatte bei seinen Überlegungen nicht einkalkuliert, dass er an einem Ort wie diesem landen könnte. Und dass er dadurch die mentale und physische Verbindung zu Gua Li verlieren könnte. Selbst wenn sie erspürt hatte, in welcher Lage er sich befand, und sich auf den Weg gemacht hatte, um ihm – wie auch immer – beizustehen, so wusste Ada Ta doch nur allzu gut, dass man ein Ziel zwar kennen, aber unterschiedliche Wege einschlagen kann. Und dass man sich auf diesen unterschiedlichen Wegen verlieren kann.
Schade, dass er dem italienischen Ritter nicht helfen konnte, der unwissentlich zum Spielball eines übergeordneten Plans geworden war – dass Gua Li den dritten Teil des großen Plans mit dessen Hilfe erfüllt hatte, wusste er intuitiv. Schade war auch, dass er nicht miterleben würde, wie sich der vierte und letzte Teil erfüllen würde. Der Weise Lao-Tzu sagte – völlig zu Recht – Auch dein Selbst ist nur geliehen. Damit meinte er, dass das Leben nur geliehen ist und dass man es früher oder später dem ewigen Himmel zurückgeben muss. Vielleicht würde er ja als Frau wiedergeboren werden oder als Bär – nein, besser als Frau, entschied Ada Ta, das würde die Paarungschancen enorm steigern. Er lachte so laut, dass die Soldaten in ihrem Wachraum aufmerksam wurden. Ein Soldat hielt im Wurf inne.
»Ich habe es Euch gesagt, Kapitän. Er lebt, obwohl er tot wirkt. Er ist ein Dämon. Man müsste einen Priester rufen, der ihn bewacht.«
»Den einzigen Dämon, den ihr fürchten müsst, ist der, der euch an den Füßen festhält, wenn ihr am Galgen hängt«, antwortete der Kapitän gleichgültig.
Zu Ada Ta hingegen kam der Dämon in Gestalt des Pontifex. Das war für ihn der Beweis, dass sich die
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