Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
war, interessierten: Als Ers ter nahm ihn Tazio Marone wahr, der Kommandant der römischen Garnison in Gamla. Er erstattete dem Statthalter von Jerusalem, Pontius Pilatus, unverzüglich Bericht. Dieser schickte daraufhin eine Depesche an Konsul Longino nach Damaskus, der ihm ungehalten antwortete, dass es sich bei diesem Jesus wahrscheinlich um einen der üblichen Aufrührer handele. Er solle wie üblich verfahren: ihn überwachen lassen und nur einschreiten, falls sich die guten Beziehungen zwischen dem römischen und jüdischen Volk, die dem Kaiser Tiberius so am Herzen lagen, zu verschlechtern drohten. Und er solle ihn nicht wegen solcher Kleinigkeiten belästigen! Tazio Marone konnte Pilatus mit der Überwachung nicht beauftragen, da der Galiläer nie lange am selben Ort verweilte. Deshalb schickte er dem Tetrarchen Herodes Antipas den Befehl, Tiberias unverzüglich zu verlassen und sich auf die Burg Antonia in Jerusalem zu begeben.
Von dreißig Würdenträgern des Hofes und einhundert berittenen Soldaten begleitet machte sich Herodes auf den Weg. Die Soldaten in seinem Gefolge sorgten dabei nicht nur für seine Sicherheit, sondern auch dafür, dass die Menschen in den Dörfern ihrem König huldigten. Und so brauchten sie für die neunzig Kilometer volle vierzig Tage, bevor sie endlich die Hauptstadt erreichten. Pilatus, der ihn nicht einmal in sein Triclinium zum Essen einlud, schickte Herodes umgehend zum Sanhedrin. Sein Vater hatte den Rat in der Hand gehabt, Herodes hingegen musste sich ihm beugen und bitten. Der Hohepriester Kaiphas begleitete ihn zu seinem Schwiegervater Hannas ben Seth, dem heimlichen Oberhaupt des Rates der Siebzig.
»Wenn er es ist, dann habe ich ihn vor vielen Jahren kennengelernt. Allerdings glaubte ich ihn tot.«
»Noch nicht«, sagte Herodes kühl, »aber was nicht ist, kann ja noch werden.«
»Was predigt der Galiläer?«
»Das Übliche.« Herodes zuckte mit den Schultern. »Freiheit, Gerechtigkeit, Liebe, Brüderlichkeit – nichts Neues scheinbar.«
»Spricht er über Gott? Oder gar über andere Götter?«
»Das weiß ich nicht, Hannas. Aus diesem Grunde bin ich ja hier – um mehr zu erfahren.«
»Wenn er über andere Götter spräche, wäre die Sache ganz einfach. Der Tanach befiehlt den Tod eines jeden Ungläubigen.«
»Die Römer wären damit Ungläubige.«
»Aber sie haben Waffen, Herodes. Und du wirst nur so lange Tetrarch sein, wie sie es wollen. Wie dem auch sei, ich habe einen schlauen Jüngling an der Hand , der ein geborener Spion ist. Er ist der Sohn von Sklaven, kommt aus Tarsus und will sich endlich von seiner Vergangenheit befreien.«
»Kann man ihm trauen?«
»Entscheide selbst.«
Während seiner Wartezeit wurden dem König Feigen und Datteln gereicht, die er in Honig und in mit Zimt gewürztes Weizenbier tunkte. Hannas naschte nur ein paar geschälte Lupinensamen, die nach römischer Mode gesalzen und mit Oregano gewürzt waren. Kurz darauf erschien ein kleiner, untersetzter Mann vor ihnen. Sein Haupthaar lichtete sich bereits, und Herodes wunderte sich unwillkürlich über seine zusammengewachsenen Augenbrauen.
»Ich hatte ihn mir anders vorgestellt.«
»Er ist intelligent wie ein Jude und schlau wie ein Römer. Wenn er uns gute Dienste erweist, werde ich ihn in den Sanhedrin aufnehmen«, bemerkte Hannas.
Nachdem sie ihm seine Aufgabe erklärt hatten, schlug sich der Mann mit der Faust auf die Brust und verbeugte sich ehrerbietig.
»Nun gut. Wie heißt du?«, fragte Herodes.
»Saulus, mein König, du kannst mich jedoch nennen, wie dir beliebt.«
»Du wirst mir allein Bericht erstatten, Saulus«, ermahnte ihn Hannas. »Und nun geh.«
Als sie wieder unter sich waren, wandte sich Hannas an Herodes.
»Sobald dieser Galiläer sich nach dem Gesetz versündigt – jedoch nicht vorher –, schreiten wir ein. Lassen wir ihn erst noch bekannter werden. Die Menschen sollen an ihn glauben und die Römer anfangen, ihn zu fürchten. Erst dann werden wir ihn verhaften, anklagen und verurteilen. Die Römer werden es uns danken und …« Hannas faltete die Hände zum Gebet und hob den Kopf. »Das Volk wird vor der Macht des wahren Gottes auf die Knie fallen.«
»Seitdem hat sich nicht viel verändert.«
Gua Li erbebte, als sie den warmen und sanften Tonfall von Ferruccios Stimme hörte, die von weit her zu kommen schien. Sie deutete ein Lächeln an und fuhr mit ihrer Erzählung fort.
Jesus fürchtete sich vor diesem Moment. Bisher hatte er vor kleinen
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