Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
erklärte, mit dem Heiligen Vater zu sprechen. Der Gefangene musste eine wichtige Persönlichkeit sein, sonst hätte der Pontifex nicht solch ein Aufhebens um ihn gemacht. Vielleicht war er ein Botschafter aus Cathay, schloss Francesco aus seinen Gesichtszügen. Der Franziskanermönch nickte eifrig, als die Folterknechte ihm diejenigen Gerätschaften präsentierten, die sie einzusetzen gedachten, und kletterte höchstpersönlich auf die Folterbank, um sich von ihrer Robustheit zu überzeugen.
Seine Hoffnungen schwanden jedoch schnell: Als der Gefangene die Folterinstrumente sah, zeigte er mehr Neugierde als Furcht. Der Folterknecht war schließlich über die ganze Fragerei derart verärgert, dass er den Alten mit einem Faustschlag zum Schweigen brachte, noch bevor er überhaupt mit seinen Anwendungen begonnen hatte.
»Verzeiht mir, Bruder Francesco«, entschuldigte sich der Henker, »aber an solche Sachen bin ich nicht gewöhnt.«
Von diesem Moment an sagte der Alte kein einziges Wort mehr, fast so, als wäre er beleidigt. Leider stöhnte und schrie er auch nicht, und in den darauffolgenden fünf Tagen brachte der Mönch nicht den Mut auf, vor den Pontifex zu treten, denn er konnte leider keine erfreulichen Nachrichten überbringen. Er fürchtete sich vor einer strengen Bestrafung, wenn er berichten müsste, dass der Gefangene vollkommen teilnahmslos vier Umdrehungen auf dem Zahnrad der Streckbank absolviert und auch auf mehrmaliges Auskugeln der Schultergelenke mit Hilfe eines Flaschenzuges nicht reagiert hatte. Auch die vier Liter Essigwasser, die sie ihn zu trinken gezwungen hatten, hatte er schneller als ein Ave Maria oder Paternoster urinieren können. Auf der Streckbank hatte er sieben Nächte lang das Gewicht dreier Männer ertragen und war dabei sogar eingeschlafen. Als hätte er auf Daunenkissen geruht, dachte Francesco ärgerlich.
Mit Gefangenen, die nicht klein beigaben – starke Kerle oder ekstatische Eremiten –, machte der Henker kurzen Prozess. In einigen dieser Fälle hatte Francesco seine Großzügigkeit zu schätzen gewusst, wenn er zum Beispiel die Eiserne Jungfrau zu eng einstellte, sodass ihre eisernen Stacheln den Gefangenen auf der Stelle töteten. Manchmal waren sich die beiden auch ohne Worte einig. Manch junge Hexe oder Nonne hatten sie besonders hoch umherfliegen lassen, damit man ihr unter den Rock schauen konnte, bevor man sie erdrosselte. Francesco kannte den Charakter seines Folterknechtes nur zu gut und wusste, dass man sich auf keinen Fall über ihn lustig machen oder ihm gar ins Gesicht spucken durfte – denn dann bat er um die Erlaubnis, den bronzenen Stier benutzen zu dürfen. Im Malleus Maleficarum hatte der Mönch nachgelesen, dass der Grieche Perilles ihn erfunden hatte und dass er auch der Erste gewesen war, an dem die Funktionsfähigkeit getestet worden war. Das jedenfalls hatte Ovid überliefert: neque enim lex aequior ulla, / Quam necis artifices arte perire sua – Das Gesetz ist billig, wie keines, / Dass Anstifter des Mords sterben durch eigene Kunst . Es war die göttliche Rache, die der Gerechtigkeit halber den Tod des Schöpfers der Höllenmaschine verlangt hatte. Der Bronzene Stier wäre auch die angemessene Bestrafung für diesen Alten, überlegte Francesco, obwohl ihm eigentlich der Gestank des verbrannten Fleisches – mehr noch als die Schreie der Gerösteten – unangenehm war.
Doch hier war der Papst kategorisch gewesen: Dieser Mann dürfe nicht sterben, hatte er befohlen – außerdem dürfe man ihm weder die Zunge herausreißen noch ihn blenden. Eigentlich müsste Seine Heiligkeit es besser wissen, dachte Francesco. Schließlich kann man nicht beides haben: den Rahm und die Butter!
»Bruder Francesco!«, unterbrach der Henker seine Gedanken. »Beim lieben Herrgott, den bring ich um!«
Wortlos hatte Ada Tag alles ertragen und sich im Geiste, soweit das angesichts der schlimmen Folter möglich war, immer wieder von seinem geschundenen Körper entfernt. Doch nun war er an seine Grenzen gelangt, und der Drache des Leidens hatte ihn fast erreicht. Diese Vorstellung tröstete ihn, und die Hoffnung darauf, dass es bald zu Ende sein würde, war das einzige Mittel gegen das Böse, da alles verloren schien. Einen letzten Trumpf hatte der alte Mönch noch. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, ihn zu spielen.
»Du darfst nicht, der Papst wünscht es nicht«, sagte Bruder Francesco. »Hab Geduld.«
»Schau dir nur seinen glückseligen Gesichtsausdruck an! Er
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