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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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seine Existenz und dem Menschen die Wahl zu ermöglichen.«
    »Das versteht doch niemand!«, schnitt Maria Magdalena dem Essener das Wort ab. »Und eben weil es niemand versteht, wird nur wenigen dieses Wissen zuteil. Außerdem heißt Bait auch ›Frau‹ – und doch haltet ihr eure Frauen von den Tempeln fern.«
    Ethan starrte Jesus an, der dem Blick des Rechtsgelehrten heiter standhielt, Maria Magdalena die Hand reichte und sie einlud, näher zu kommen.
    »Wenn unsere Frauen alle so wären wie du«, antwortete Ethan, »dann hätten wir unsere Schlacht bereits gewonnen.«
    Während der nächsten Stunden sprachen sie über die Rechte und Pflichten der Menschen, über die Gleichheit der Gebete unter dem gesamten Sternenhimmel und die Notwendigkeit, dass ihr Volk wieder frei und unabhängig werden müsse. Und über die Göttlichkeit, die jeder menschlichen Kreatur innewohnt. Sie waren sich nur über die Riten uneins, die Jesus als nutzlos, ja sogar als hinderlich erachtete, wenn man der Essenz des Geistes nahekommen wolle. Für Ethan waren sie jedoch notwendig, um dem Volk Ordnung und Struktur zu geben.
    »Wenn du Gutes tust«, sagte Jesus, »dann bedarf es keiner weiterer Regeln, und man muss auch nicht wissen, wer sie macht.«
    »Willst du damit sagen, dass Priester und Gelehrte abgeschafft gehören?«
    »Nein, Ethan, ich möchte, dass alle Menschen Priester und Gelehrte sind, ohne dass es irgendeines Maßstabes bedarf. Das Göttliche, sein schöpferischer Funke, ist in uns allen. Niemand braucht sich zu erheben über die anderen. Ein guter Vater und eine gute Mutter hören die Gebete des Sohnes, wenn er mit ehrlicher Seele und guten Absichten spricht. Er braucht keine wertvollen Kleider oder einen Freund, dem er seine Worte in den Mund legt, um Beachtung von seinen Eltern zu bekommen.«
    Ethan lachte und stimmte Jesus zu.
    Die beiden Männer disputierten, bis der indigofarbene Himmel die Nacht ankündigte. Der Kreis ihrer Zuhörer war immer größer geworden; auch die Frauen der Essener hatten sich mit ihren Kindern zu ihnen gesellt. Sie teilten Wasser, Brot und Käse – denn Fleisch und Wein waren von den Tischen der Essener verbannt. Als die Sterne des Nachthimmels die Hälfte ihrer Wanderung vollbracht hatten und die Feuer ausgingen, wollte Jakob zu Jesus gehen, um ihm ein wenig Ruhe zu verschaffen. Judas hinderte ihn jedoch daran.
    »Lass ihn«, sagte er leise.
    Um sich vor der Feuchtigkeit zu schützen, legten sie eine Decke über die Zweige eines Olivenbaumes und eine auf den Boden. Wie Orientalen hockten sich Maria Magdalena und Jesus auf die Decke.
    »Ich bin immer noch erstaunt, wie meine Worte aufgenommen werden, und das gibt mir Anlass, zu bleiben und weiterzumachen.«
    »Du besitzt die Gabe, komplizierte Dinge auch mit einfachen Worten zu erklären und die Menschen besser zu machen.«
    »Wenn alle so wie diese Menschen wären, dann wäre auch die Welt besser. Sie haben keine Angst und leben in Gerechtigkeit.«
    »Darum haben die Römer und der Große Sanhedrin Angst vor ihnen, so wie sie auch Angst vor dir haben. Du musst dich in Acht nehmen.«
    Ein Schatten erschien auf Jesu Antlitz. Er griff nach einer Olive, die auf dem Boden lag, und schleuderte sie weg.
    »Ein zweites Mal wird es nicht passieren, denn nun ist Yuehan bei mir.«
    »Aber uns andere gibt es auch noch – deine Brüder, deine Mutter … und mich.« Maria Magdalena erhob sich. »Ja, du hast Pflichten auch mir gegenüber. Achte darauf, dass du keine Frau zum Weinen bringst, denn Gott wird ihre Tränen zählen! Die Frau ist aus der Rippe des Mannes geformt worden – nicht aus seinen Füßen, um getreten zu werden, und nicht aus seinem Kopf, um über ihm zu stehen, sondern aus seiner Seite, um gleichberechtigt neben ihm durchs Leben zu gehen. Gerade ein wenig unterhalb seines Armes, um beschützt, und auf der Seite des Herzens, um geliebt zu werden. – Warum schaust du mich so an?« Sie lachte. »Erkennst du nicht die Worte der Weisen?«
    Jesus versuchte, sie am Arm zu fassen, doch sie entwich ihm und versteckte sich hinter dem Baumstamm. Ihr Gelächter drang bis zu den Ohren Jakobs und Judas’, die sich wieder schlafen legten.
    In den darauffolgenden Tagen trafen sie weitere Grüppchen der Essener, und mittlerweile eilte Jesus, wohin er auch kam, der Ruf seiner Wunder voraus. Und wie es der menschlichen Natur innewohnt, wurden die Ereignisse in den Berichten immer unglaublicher und wundersamer, und ein einfaches Handauflegen, um ein

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