Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
scheint zu schlafen und – mit Respekt, Bruder Francesco – gar von einer Dirne zu träumen.«
»Wecke ihn auf, los! Tauche seinen Kopf unter Wasser.«
»Und wenn ich den Eisernen Stiefel nähme? Er ist danach zwar ein Krüppel, aber man braucht ja keine Beine, um zu reden.«
»Um Gottes willen! Ich kann das Geräusch zerberstender Knochen nicht ertragen. Los, nimm das Wasser.«
Der Henker gab dem Gefangenen einen Tritt, doch dieser regte sich nicht. Er trat noch einmal zu, und diesmal fiel der Gefangene von seinem Schemel vornüber auf den Boden.
»Der hat aber einen gesunden Schlaf«, kicherte Francesco.
»Von wegen Schlaf.« Der Henker kratzte sich am Kopf. »Der hier ist tot.«
Blitzschnell verschwand das Grinsen des Mönchs, und Schrecken machte sich auf seinem Gesicht breit. In heller Panik sprang er auf und stürzte zu dem Gefangenen. Er hielt ihm einen Silberspiegel vor den Mund und betete zu allen Märtyrern der Kirche, dass wenigstens der Hauch eines Odems den Spiegel beschlüge. Von den Märtyrern erhielt Francesco jedoch keine Antwort, und so wandte er sich an seinen heiligen Schutzpatron. Dieser antwortete ihm, dass nur der Sohn Gottes fähig sei, Tote wieder zum Leben zu erwecken. Bruder Francesco hielt sich die Hände vors Gesicht und schlug sich mit den Fäusten gegen die Schläfen.
»Manuzio« – es war lange her, dass er den Henker zuletzt beim Namen genannt hatte – »mein Freund, wir sind ruiniert.«
Der Henker hatte nicht nur die Verwünschungen seiner Opfer überlebt, sondern auch vier Päpste, und er hatte keinerlei Absichten, seine Karriere und sein Leben ausgerechnet jetzt zu beenden. Er hatte sich einen Hof in der Nähe von Castello dei Giubilei gekauft, und es waren sogar noch genügend Florinen übrig geblieben, um Rinder, Schweine und ein junges Weib zu kaufen. Wenn der Papst also zornig würde – und dem verzweifelten Gesichtsausdruck des Mönchs nach zu urteilen, würde er das ganz bestimmt –, dann würde er ihm seinen Hof und seine Florinen konfiszieren. Wahrscheinlich würde es ihm sogar gelingen, seine Haut zu retten – er würde jedoch als Verräter mit dem glühenden Eisen gebrandmarkt werden.
»Ich habe eine Idee«, sagte Manuzio plötzlich. Der Mönch sah ihn an, als wäre ihm die heilige Katherina in Ekstase erschienen. »Habt Ihr nicht erwähnt, dass der Papst glaubt, der Tote verfüge über magische Kräfte?«
»Ja, aber …«
»Hört mir zu. Heute Nacht stecken wir ihn in einen Sack, den wir mit Steinen füllen und mit Ketten zusammenschnüren. Dann werfen wir ihn in den Tiber. Und erzählen dem Pontifex, dass ein Licht erschienen sei und der Erzengel Gabriel persönlich ihn zu sich geholt hätte.«
»Wirklich, der Erzengel Gabriel?« Francesco schüttelte skeptisch den Kopf. »Können wir nicht sagen, dass es ein Dämon war?«
»Was macht das für einen Unterschied? Dann nehmen wir eben den Satan. Wichtig ist nur, dass wir dasselbe sagen. Wenn wir also den Teufel nehmen, brauchen wir ein schönes Feuer. Ich schlage vor, wir verbrennen das Heu. Das riecht dann schön verbrannt.«
Lange rieb sich Bruder Francesco die Hände und suchte nach einer anderen Lösung, doch er fand keine bessere.
»Also gut«, murmelte er schließlich. »Doch was machen wir mit denen?«
Er zeigte auf die drei Gehilfen von Manuzio, die wie Opferlämmer dicht aneinandergedrängt an der Wand standen.
»Das sind alles meine Söhne. Ich hatte noch einen, der war aber einmal zu viel ungehorsam.«
Während die Wachen schliefen, verließen in jener Nacht vier Gestalten – gefolgt von einer fünften – die Festung durch eine kleine Seitentür am Fluss. Sie schritten langsam in Richtung Sassia an den Ufern des Tibers entlang, dorthin, wo das Wasser am tiefsten war. Ein Fischer kam vorbei, und sofort stimmten sie das Miserere an. Der Fischer bekreuzigte sich und fuhr weiter. Als sie an eine kleine Bucht gelangten, hielten die Gestalten an, schwenkten den Sack hin und her und warfen ihn dann schwungvoll in die tiefen Wasser.
Am nächsten Morgen warf sich Francesco dem Papst zu Füßen, erflehte sein Erbarmen und beschrieb wortreich den flammenden Ziegenbock, der plötzlich im Kerker aufgetaucht sei, alles entzündet habe und dann in die Hölle zurückgefahren sei – mitsamt dem Gefangenen, der, wie ein Besessener lachend, über die Wände und das Deckengewölbe gekrochen sei. Es war nur dieses letzte kleine Detail, das beim Papst Zweifel über den Wahrheitsgehalt der Geschichte
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