Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
auslöste – denn genau diese Szene war ihm im Studierzimmer des Mönchs aufgefallen, als er ihn zum ersten Mal besucht hatte. Er erlaubte Bruder Francesco jedoch, sich unbeschadet zu empfehlen. An diesem Tag, genau einen Monat vor seinem Geburtstag, würde nichts seine Freude trüben können. Um ihn mit ihm zu feiern, war Giulia – hinter dem Rücken ihres Gatten – aus Bassanello gekommen. Sie brachte ihm eine Hermelinstola und rote Pantoffeln mit. Der Papst schenkte ihr im Gegenzug einen antiken Ring und zwei goldgefasste Perlenohrringe – um ihr zu zeigen, wie sehr er sich über ihren Besuch freute und um sie an die vergossenen Tränen während ihrer langen Abwesenheit zu erinnern.
Mit sechsundsechzig Jahren spürte er die Anstrengungen des Beischlafs und ordnete deshalb Kardinal d’Aubusson ab, um den ersten Adventssonntag zu zelebrieren. Auf ein Zeichen des Chormeisters stimmte die Ministrantengruppe das Ad te levavi animam meam an. Vor dem Altar schlief der Papst in seiner Sänfte. Hinter ihm saß – zwischen Giovanni de’ Medici und Ascanio Sforza – sein Sohn Cesare. Neben ihnen auf der Bank hatte Burcardo Platz genommen, der wie immer eifrig Notizen in sein schwarzes Büchlein schrieb.
Am Ende der Messe wurde dem am Spendentisch vorbeidefilierenden Volk ein vollkommener Sündenerlass angeboten und den Kardinälen und Bischöfen das traditionelle Gastmahl. Im großen Saal wurde zuerst eine heiße Suppe mit Kichererbsen und Stockfisch aus Kantabrien serviert, dann Lammzünglein und Schweineohren. Ein Mittagsmahl ganz nach spanischer Tradition, um auch bei Tisch die Macht des Pontifex zu demonstrieren. Zum großen Bedauern des Kochs kostete Alexander nur ein kleines Stück von der mit Äpfeln gefüllten Gans. Der Geruch von Knoblauch überdeckte den Jerez, der auf den kürzlich zurückeroberten Weinbergen des Sultans Boabdil angebaut wurde und ein persönliches Geschenk von Isabella und Ferdinand war.
Jofré war sehr zuvorkommend zu Lucrezia. Er hatte sie bereits mehrfach gefragt, ob er ihren sich bereits sichtbar rundenden Leib berühren dürfe. Cesare wiederum schlug sich den Bauch mit Ochsenschwänzen voll und warf die Knochen den Hunden zu, während Giovanni sich von der Torte mit Feigen, Datteln und Honig überaus angetan zeigte. Als Alexander in seinem Tortenstück die getrocknete Erbse fand, spuckte er sie lachend auf seinen Teller, und alle bejubelten ihn wie einen König. Zufrieden schaute er den Medici an, den Burcardo nicht davon überzeugen konnte, dass es sich nur um ein altes Spiel handelte, in dem der Glückliche, der die versteckte Erbse fand, zum König des Festes ausgerufen wurde. Der florentinische Kardinal bewahrte jedoch ruhig Blut: Die wirkliche Überraschung würde noch kommen. Der Thron Petri war zum Greifen nahe, doch es war besser, noch nicht daran zu glauben, damit er den Neid der Götter nicht heraufbeschwor.
Mit einer Geste wies der Papst Ascanio Sforza an, die Gäste hinauszubegleiten. Zum Schluss blieben nur noch die Hunde, Cesare und Kardinal Medici.
»Ihr seid Uns lieb und teuer wie ein Neffe, Giovanni. Wir haben Unsere Schicksale nunmehr vereint. Daher hören Wir Euch auch an, nicht wahr, mein Sohn?«
Cesare, der sich seine Fingernägel mit einem Dolch säuberte, blickte widerwillig auf. »Ich bin bereit, ihn Cousin zu nennen, mein Vater.«
»Eure Interessen sind die meinen und in gleichem Maße die Eures Sohnes …«, begann Giovanni. Doch dann hielt er inne und sagte nur ein einziges Wort: »Florenz.«
»Wir verstehen«, log der Papst und strich sich über seinen Nasenhöcker. »Doch was meint Ihr damit genau?«
»Ich muss es wiederhaben. Es wäre für uns beide von Vorteil.«
»Mein lieber Neffe, Savonarola hat es gewagt zu behaupten, dass seine Exkommunizierung, die ich aussprach, vor dem Angesicht Gottes ungültig sei, da sie auf falschen Behauptungen beruhe. Die Florentiner wollen ihn als Oberhaupt; die Stadt ist sein. Was könnte Eurer Meinung nach die Situation umkehren?«
Giovanni erhob sich, und obwohl er klein gewachsen war, bot er einen imposanten Anblick, und Alexander sah in seinen Augen die Pracht der Medici erstrahlen.
»Es gibt etwas, das der Mensch mehr fürchtet als die Errettung seiner Seele. Das ist der Mist, mit dem Satan jeden Willen lenkt.«
»Dieser Mist brachte Eurer Familie ihren Reichtum.«
»Allen Familien, Heiliger Vater, allen. Doch größer als die Freude, den Mist zu besitzen, ist die Angst, ihn wieder zu verlieren. Geld
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